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Kategorie: Biografien

Die Frau hinter dem Mythos
Queen Victoria herrschte über ein Empire und gab einem ganzen Zeitalter ihren Namen.
Und doch kennen wir die Person hinter dem starren Bild der Königin kaum.
Julia Baird schreibt mit großer erzählerischer Kraft die bewegende Geschichte einer Frau, die mit vielen durchaus heutigen Probleme konfrontiert war: der Balance zwischen Arbeit und Familie, den Schwierigkeiten der Kindererziehung, Ehekrisen, Verlustängsten und Selbstzweifeln.

 

Queen Victoria 

Originaltitel: Victoria The Queen
Autor: Julia Baird
Übersetzer: Hans Freundl / Maria Zettner
Verlag: wbg Theiss in Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Erschienen: 24. September 2018
ISBN: 978-3806237849
Seitenzahl: 596 Seiten

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Inhalt, Stil und Sprache
Prinzessin Alexandrina Victoria von Kent (* 24. Mai 1819, † 22. Januar 1901) folgte mit 18 Jahren ihrem kinderlosen Onkel William IV. als Queen Victoria auf den englischen Thron und regierte fast 64 Jahre lang - nur ihre Ururenkelin Elizabeth II. trägt die Krone noch länger als sie. Sie hatte 9 Kinder und 40 Enkel und ihre Nachkommen findet man in fast allen europäischen Dynastien. Das trug ihr den Beinamen „Großmutter Europas“ ein. Während ihrer Regierungszeit veränderte sich die Welt. Großbritannien hatte daran entscheidenden Anteil und entwickelte sich zur führenden Kolonialmacht, Handels- und Industrienation.

Die australische Historikerin Julia Baird hat aus vielen verschiedenen Quellen - die sie in der Bibliographie im Anhang aufführt - eine Fülle von Material über Victorias langes und ereignisreiches Leben zusammen getragen, das sie in fünf Hauptteile mit jeweils mehreren Unterkapiteln einordnet:

Viele Informationen stammen aus den eigenen Tagebüchern und Briefen der Königin, von ihren Familienangehörigen, Mitgliedern ihres Hofes und ihrer Regierung und sonstigen Zeitzeugen, wie z.B. Florence Nightingale oder Charles Dickens. Sie zeigen die Queen als eine Frau, die sich schon in sehr jungen Jahren mit großem Mut und Entschlossenheit gegen ihre ehrgeizige Mutter und deren Günstling John Conroy durchsetzen musste und „... indem sie jener Frau trotzte, die sie auf die Welt gebracht hatte, lernte Victoria, Königin zu sein.“ (Seite 41). Dieser Charakterzug prägte ihr ganzes Leben, einzig ihrem Gatten – Albert v. Sachsen-Coburg – den sie über alles liebte, ordnete sie sich zeitweise unter, nachdem sie anfangs noch versucht hatte, ihn von ihrer Macht fernzuhalten. Aber dann fand sie in der gemeinsamen Arbeit mit ihm und in ihrem harmonischen Familienleben ihr persönliches Glück, das durch seinen frühen Tod jäh beendet wurde. Sie überlebte ihn um 40 Jahre und legte ihre Witwenkleider nie mehr ab, wovon auch viele der Fotos in diesem Buch Zeugnis geben.

Der Leser lernt auch die menschliche Seite hinter der Figur der unnahbaren Monarchin kennen. Sie fasste nicht schnell Vertrauen - in ihrer hohen Stellung auch kein Wunder – aber wenn sie jemanden mochte, dann stand sie zu ihm. Umgekehrt war es auch schwierig, ihre persönliche Abneigung zu überwinden, wie einige ihrer Premierminister leidvoll erfahren mussten. Sie hasste Standesdünkel und Rassismus, was sich in ihrem Umgang mit ihren Bediensteten John Brown und Abdul Karim zeigte, die sie - ungeachtet der Abneigung ihrer Kinder und ihres Hofstaates gegen diese beiden - jahrelang bei sich behielt. In diesem Zusammenhang ist das Tagebuch ihres Arztes – Dr. James Reid – sehr interessant, eine bisher unbekannte Quelle, die ein ganz neues Licht auf Victorias letzte Tage und die Anweisungen für ihre Beisetzung wirft und die mich wirklich sehr überrascht und berührt hat.

Die Autorin schildert die Königin und ihre Zeit sehr eindrucksvoll und mit großer historischer Genauigkeit – wie man zumindest der Originalausgabe des Buches entnehmen kann. Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit englischer Geschichte – auch mit der von Queen Victoria – und habe diese Biografie mit großem Interesse gelesen. Daher sind mir recht schnell einige ziemlich gravierende Unstimmigkeiten – sowohl historisch, als auch im Ausdruck – aufgefallen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Autorin so schlecht recherchiert hat und habe daher meine Notizen mit dem englischen Original verglichen und tatsächlich in der Übersetzung ganz eklatante Fehler gefunden.

Hier einige Beispiele (die kursiv gedruckten Textstellen sind wörtliche Zitate aus dem Original und der deutschen Übersetzung):

Seite 20: Bei Victorias Geburt im Mai 1819 steht, dass die gleiche Hebamme „ein Vierteljahr vorher“ auch bei der Entbindung von Albert dabei war. Er ist aber im August 1819 geboren und so heißt es – richtigerweise - im Originaltext: „three month later

Seite 45: Die Baronin Lehzen wurde Victorias Erzieherin, als sie fünf Jahre alt war und hat berichtet, dass die Prinzessin – als sie entdeckte, wie nahe sie dem Thron stand – sagte, wenn sie Königin werde, wolle sie gut sein. Das geschah am 11. März 1830 und im Original steht: „Victoria was ten years old“. Die deutsche Übersetzung bezeichnet diese Aussage aber wörtlich als: "… viel zu förmlich und selbstbewusst für ein fünfjähriges Kind".

Seite 62: Als zum ersten Mal eine Heirat mit Prinz Albert erwähnt wird, heißt es: "ihr ältester Cousin Albert ...". Da er aber einen älteren Bruder hatte, kann das nicht stimmen. Tatsächlich steht im englischen Original "… her first Cousin..." - und nicht "eldest" - womit ein Cousin 1. Grades gemeint ist.

Seite 139: Prinz Alberts Mutter wurde wegen Ehebruch geschieden und der deutsche Text dazu lautet: "sie wurde 1826 geschieden [...] 7 Jahre danach heiratete sie Alexander von Hanstein [ … ] sie starb 1831 mit nur 30 Jahren". Hier wurde "seven month" aus dem Original mit „7 Jahre“ übersetzt, scheinbar ohne zu bemerken, dass Luise v. Coburg bereits 5 Jahre nach der Scheidung starb, sehr merkwürdig, da ja im nächsten Satz ihr Todesdatum genannt wird.

Seite 134: Am 9. Nov. 1839 informierte Victoria ihre Mutter von ihrer Verlobung mit Prinz Albert. Der Originaltext lautet wörtlich: "An emotional duchess said they were so young and vowed that she would never meddle in their marrige". Die deutsche Übersetzung macht daraus: "Die rührselige Herzogin schwafelte etwas davon, dass sie doch noch so jung seien und versprach, sich niemals in die Ehe einzumischen ...". Solche „kitschigen“ Ausdrücke gehören – meiner Meinung nach – nicht in eine seriöse Biografie. Ich persönlich würde "emotional" mit "gerührt" übersetzen und von "schwafeln" ist doch hier gar nicht die Rede.

Seite 279: "Am 14 Hochzeitstag 1854 säuselte die Königin 'nur wenige Frauen sind mit einem solchen Ehemann gesegnet'". Im Original steht das Wort sighed, was ich – in einem Sachbuch und in Verbindung mit einer dokumentierten Aussage der Queen – mit "seufzen" übersetzen würde.

Seite 515: In den Anmerkungen zu Kapitel 7 steht unter der Nr. 21, dass der Spinell aus Victorias Krone vor der Schlacht von Azincourt 1415 „am Helm von Heinrich VI. angebracht worden war“. Der Sieger dieser Schlacht war aber König Heinrich V. – sein Sohn war noch gar nicht geboren.

Es ist außerordentlich schade, dass die hervorragende Arbeit von Julia Baird durch diese vielen – bei mehr Sorgfalt sehr leicht vermeidbaren – Übersetzungsfehler stark beeinträchtigt wird. Besonders im Hinblick darauf, dass Leser – die sich mit Victorias Leben und Daten etwas auskennen – sie der „schlechten Recherche“ der Autorin zuschreiben könnten, da nur die wenigsten das Original zum Vergleich zur Hand haben werden. Die häufigen Rechtschreib- und Grammatikfehler habe ich nicht extra erwähnt, das würde den Rahmen der Rezension sprengen.


Aufmachung des Buches
Der Schutzumschlag der gebundenen Ausgabe zeigt Königin Victoria im Alter von 24 Jahren auf einem Portrait von Franz Xaver Winterhalter (1805-1873). Darüber steht in großen, roten Buchstaben der Titel und in kleineren, weißen der Name der Autorin. Im vorderen Innendeckel befindet sich der Familienstammbaum der Monarchin, gefolgt von der ganzseitigen Abbildung eines weiteren Gemäldes von Winterhalter, aus dem Jahr 1859. Zudem enthält das Buch mehrere Karten des britischen Empire und Europas, sowie 48 Schwarzweiß-Fotos. Das Inhaltsverzeichnis listet nach der Einleitung 5 Hauptteile mit 30 betitelten Kapiteln auf. Der Anhang umfasst beinahe 100 Seiten und enthält eine Nachbemerkung der Autorin zur Entstehung des Buches und eine Danksagung, sowie zahlreiche Anmerkungen – an Stelle von Fußnoten im Text – eine Bibliographie, den Bildnachweis und ein Register.

Leider wurde das sehr ausführliche Namensverzeichnis aus dem englischen Original nicht in die deutsche Ausgabe übernommen. Es enthält nicht nur viele aufschlussreiche Informationen über die Familie der Königin – ihre Großeltern, Eltern, Onkel und Tanten, sowie ihren Gatten und ihre Kinder, Schwiegerkinder und Enkel – sondern auch über die Mitglieder ihres Hofstaates, ihrer Regierung, alle ihre Premierminister und weitere wichtige Zeitgenossen und wäre für den Leser bei der Zuordnung dieser nur schwer überschaubaren Anzahl von Personen sehr hilfreich gewesen.


Fazit
Zu meinem großen Bedauern konnte ich das Buch nicht so gut bewerten, wie die Autorin es für ihre sehr aufwendige Recherche und die wirklich bemerkenswerte und überzeugende Darstellung der Königin und des nach ihr benannten Zeitalters verdient hätte.
Inhaltlich würde ich sehr gerne 5 Sterne vergeben! 
Für „Stil und Sprache“ ist aber in erster Linie die deutsche Übersetzung verantwortlich zu machen und die ist – wie die Beispiele zeigen – einfach zu oft und nachweislich falsch. Ich empfehle das Buch trotzdem als sehr lesenswert und weise noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass Julia Baird – als fremdsprachiger Autorin – nicht die Fehler der Übersetzer angelastet werden können, sondern dass sie eine ganz ausgezeichnete Biografie geschrieben hat.

 
3 Sterne


Hinweise
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