Das Schicksal zweier Frauen. Das Erbe einer Familie. Die Geschichte einer Leidenschaft.
Stuttgart, Anfang des 20. Jahrhunderts: Als Tochter eines Schokoladenfabrikanten führt Judith Rothmann ein privilegiertes Leben im Degerlocher Villenviertel. Doch eigentlich gehört Judiths Leidenschaft der Herstellung von Schokolade. Jede freie Minute verbringt sie in der Fabrik und entwickelt Ideen für neue Leckereien. Denn sie möchte unbedingt einmal das Unternehmen leiten. Aber ihr Vater hat andere Pläne und fädelt eine vorteilhafte Heirat für sie ein – mit einem Mann, den Judith niemals lieben könnte. Da kreuzt der charismatische Victor Rheinberger, der sich in Stuttgart eine neue Existenz aufbauen will, ihren Weg ...
Autor: Maria Nikolai
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Die Grundidee der Handlung
Stuttgart 1903: Maria Nikolai erzählt die - auf drei Bände angelegte - Geschichte einer wohlhabenden, privilegierten Fabrikantenfamilie, hinter deren - nach außen glänzender - Fassade sich einige Dramen abspielen.
Dabei schildert sie die Zeit um die Jahrhundertwende sehr bildhaft, spannend und mit großer historischer Genauigkeit.
Stil und Sprache
„Die Schokoladenvilla“ ist auf den ersten Blick nicht das, was man sich unter einem „historischen“ Roman im Allgemeinen vorstellt. Es geht darin weder um ein besonderes geschichtliches Ereignis, noch um bedeutende Personen, wenn auch ein paar prominente Namen – wie die Brüder Thomas und Heinrich Mann oder Robert Bosch – kurz erwähnt werden.
Es ist vielmehr der gesellschafts- und sozialpolitisch sehr sorgfältig recherchierte und authentisch dargestellte Hintergrund Anfang des 20. Jahrhunderts, der dieses Buch bemerkenswert macht, sodass es berechtigterweise das Prädikat „historisch“ verdient.
Die Autorin hat sich – wie auch ihrem ausführlichen Nachwort zu entnehmen ist – ausgiebig mit den verschiedensten Aspekten der unterschiedlichen Gesellschaftsschichten um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert beschäftigt. Die Stellung der Frau spielt dabei eine große Rolle. Während die Damen der „höheren Kreise“ – nicht nur durch die damalige Mode – in einem Korsett aus Etikette, Gehorsam gegenüber dem Ehemann und Vater und der unbedingten Wahrung des äußeren Scheins gefangen waren, verdienten ihre Dienstmädchen und die Arbeiterinnen in den Fabriken kaum genug zum Leben, sodass vielen oft nur der Weg in die Prostitution blieb.
Der Leser erfährt auch manches über die Anfänge der Industriealisierung – von der Herstellung der Köstlichkeiten in der Schokoladenfabrik Rothmann, bis zum Bau des Automaten, den Victor entwickelt – es wird alles sehr interessant und nachvollziehbar geschildert, sodass man sich jederzeit ein gutes Bild von den Vorgängen machen kann.
Einen besonderen Raum nehmen die Beschreibungen des Gardasees und seiner Umgebung ein. Wenn man schon einmal dort war, wird man vieles auch jetzt noch wieder erkennen. Das gleiche trifft auf Stuttgart und seine heutigen Vororte zu.
Der Schreibstil ist leicht und flüssig, die Sprache der Zeit angepasst. Ein wenig irritierend habe ich es empfunden, dass ein Kapitel manchmal an einem besonders spannenden Punkt endet und das nächste oft erst Tage später beginnt. Allerdings erfolgt dann meistens in einem kurzen Rückblick, oder einer Bemerkung im Gespräch der Protagonisten, was sich in solchen Situationen weiter abgespielt hat, sodas letztendlich keine Fragen offen bleiben.
Figuren
Maria Nikolai hat alle ihre Figuren sehr prägnant und liebevoll gezeichnet. Sie nimmt sich viel Zeit für ihre Charakterisierung und der Leser kann sich sehr gut in ihre Situation hinein versetzen und ihre Motive verstehen. Aus heutiger Sicht fällt es oft schwer, sich die Lage der Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts vorzustellen. Dies ist besonders im Fall von Hélèle Rothmann – Judiths Mutter – wichtig.
Wird sie den Mut aufbringen, ihren Mann zu verlassen? Das wäre ein Bruch mit allen Konventionen und ihrer Erziehung, nach denen sie ihrem Ehemann Gehorsam schuldete, und da mit der Heirat sogar ihr Besitz an ihn über ging, bedeutete eine Scheidung nicht nur die Verbannung aus ihren gewohnten Gesellschaftskreisen, sondern ließe sie auch mittellos zurück. Unter diesem Aspekt ist auch Judiths abwartende Reaktion zu verstehen, die sich zunächst nicht traut, sich den Plänen ihres „Herrn“ Vaters unmittelbar zu widersetzen.
Erst als sie in Victor einen Mann kennen lernt, der sie nicht nur als „schmückendes Beiwerk“, sondern als denkenden Menschen mit eigenen Ideen und Vorstellungen von ihrer Zukunft wahr- und ernst nimmt, findet sie die Kraft dazu.
Die Eskapaden von Judiths 8jährigen Zwillingsbrüdern sind meistens zum Schmunzeln, oft bleibt einem aber auch dabei schon vorab vor Schreck „die Luft weg“. Wer sich allerdings mit Jungen in diesem Alter etwas auskennt, der weiß, dass ihnen fast alles zuzutrauen ist. Zum Glück gehen ihre Streiche aber meistens noch glimpflich aus.
Aufmachung des Buches
Sowohl die Vorder- als auch die Rückseite des Taschenbuches zeigen eine herrschaftliche Villa in einem verschneiten Park. Auf dem Cover steigt eine junge Frau eine Treppe hinunter, ihre Kleidung passt allerdings nicht ganz zur geschilderten Zeit, sondern wird erst ca. 20 Jahre später in Mode sein. Der Schnee auf den Stufen und auf dem schmiedeeisernen Gitter ist in glitzernden Elementen aufgeprägt, ebenso wie die vereinzelten Schneeflocken und die großen, roten Letter des Titels. Der Name der Autorin steht in weißen Druckbuchstaben darüber.
Beide Innendeckel lassen sich aufklappen und enthalten zwei Rezepte aus der Schokoladenwerkstatt.
Die Handlung des Romans verteilt sich auf 61 – teilweise mit Ort und Datum versehene – Kapitel, die einen Zeitraum von Januar 1903 bis Januar 1904 umfassen. Der Epilog gibt einen kurzen Ausblick auf die weitere Entwicklung einiger Personen. Diese werden in einem anschließenden Verzeichnis noch einmal gesondert vorgestellt, wobei historisch verbürgte Figuren einen größeren Raum einnehmen.
Es folgen ein Glossar und ein Abriß zum geschichtlichen Hintergrund der Erzählung, bevor eine Danksagung das Buch beschließt.
Fazit
„Die Schokoladenvilla“ ist zwar eine Familiengeschichte, aber das sind andere „historische“ Romane, z.B. die zahlreichen Bücher, die von den Dynastien York, Lancaster oder Tudor handeln - um nur einige der bekanntesten zu nennen – im Grunde genommen auch.
Ausschlaggebend sind für mich bei diesem Buch die wirklich gut getroffenen, authentischen Milieuschilderungen und das interessante Lokalkolorit und daher gibt es von mir eine klare Leseempfehlung.
Hinweise
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