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Kategorie: Interviews mit Autoren

Lucie Flebbe
© grafit Verlag

 

Liebe Frau Flebbe, ich freue mich sehr, dass Sie mir ein paar Fragen beantworten wollen! Vor ziemlich genau zehn Jahren erschien Ihr erster Krimi „Der 13. Brief“, mit dem Sie auf Anhieb den Friedrich-Glauser-Preis als beste Newcomerin abräumten. Danach gab es noch weitere acht Fälle für Ihre Nachwuchs-Privatdetektivin Lila Ziegler, bevor Sie sich einer neuen Protagonistin widmeten: Eddie Beelitz ist der etwas unfreiwillige Star Ihrer neuen Trilogie, deren erster Band am 20.08.2018 im Grafit-Verlag erschienen ist.

Zuerst die drängendste Frage: Warum haben Sie Lila Ziegler – immerhin eine meiner Lieblingsermittlerinnen - schon mit Anfang 20 „in Rente“ geschickt?

Das Ende von Lilas Geschichte hatte ich von Anfang an im Kopf. Ursprünglich waren zehn Bände geplant, neun sind es geworden. Ganz genau lässt sich das eben doch nicht voraussagen und mit künstlichem In-die-Länge-ziehen der Handlung wollte ich die LeserInnen nicht langweilen. Ich selbst freue mich, die Reihe beendet zu haben. Es ist nämlich gar nicht einfach, die Fäden zusammenzuführen. Ich war keineswegs sicher, dass mir das wirklich gelingt, es war ja die erste Krimireihe, die ich geschrieben habe. Den Ausdruck „in Rente geschickt“ würde ich allerdings nicht benutzen. Wie es mit Lila und Danner weitergehen könnte, dürfen sich die LeserInnen selbst überlegen.

Lilas Geschichte handelt vom „Erwachsen werden“, meine neue Protagonistin Edith ‚Eddie‘ Beelitz ist über dreißig und muss - plötzlich alleinerziehend - den Wiedereinstieg in den Job und den Spagat zwischen Familie und Beruf stemmen. Ein nicht weniger spannendes Thema, das dicht an meiner eigenen Lebenssituation dran ist und zu dem mir dementsprechend eine Menge einfällt.


Nach Lila Ziegler ermittelt mit Eddie Beelitz ein zweites Mal eine eher ungewöhnliche Protagonistin in Bochum. Woher kommen Ihre Figuren, gibt es reale Vorbilder? Was reizt Sie an diesen unkonventionellen Frauen?

Wie im echten Leben mag ich auch in meinen Geschichten Menschen mit Ecken und Kanten. Gerade solchen Figuren gelingt es, eine Krimireihe über mehrere Bände zu tragen. Lila z.B. kämpft mit den Folgen ihrer traumatischen Kindheit, ihr Partner Danner neigt in Stresssituationen zu einem riskanten Umgang mit Alkohol. Und Eddie ist trotz aller Warnungen voll in die Hausfrauenfalle getappt und steht nach dem Ehe-Aus vor dem Nichts. In „Jenseits von Wut“ gibt es neben Ich-Erzählerin Eddie noch eine zweite, männliche Erzählperspektive – mit einem offensichtlichen Aggressionsproblem. Ebenfalls eine eigenwillige Figur.


Und noch eine besonders für mich als Bochumerin wichtige Frage: Warum Bochum? Was reizt Sie an dieser Stadt, die schon Herbert Grönemeyer als „keine Schönheit“ und „leider total verbaut“ besungen hat?

Wie bei meinen Figuren faszinieren mich auch an der Stadt gerade die Ecken und Kanten - und Bochum hat viele wunderbare Ecken. Seit mittlerweile zehn Jahren treibe ich mich auf der Suche nach den „Kulissen“ für meine Krimis in der Stadt herum. Dabei haben mich meine Recherchen u.a. in Notunterkünfte für Wohnungslose, in Kleingärten, in die Katakomben des Fußballstadions und auf das Dach der Opelruinen geführt. Möglich gemacht haben das unglaublich viele nette Menschen, die mich oft ganz spontan bei meiner Arbeit unterstützt haben. Für „Jenseits von Wut“ durfte ich sogar ins Polizeipräsidium und im Jobcenter habe ich den MitarbeiterInnen bei der Arbeit über die Schulter gesehen. Die offene und manchmal recht direkte Art der Leute schätze ich sehr – und erstaunlicherweise passt sie perfekt zu meinen Geschichten. Wo sonst sollte Molles Kneipe zu finden sein? Oder Mütze wohnen? Ich bin überzeugt, dass meine Krimis in keiner anderen Stadt spielen können.


Sie haben für „Jenseits von Wut“ bereits vor über einem Jahr in Bochum recherchiert. Ihre Schauplätze liegen dabei nicht immer im leicht zugänglichen Zentrum, sondern Ihre Geschichte findet auch in weniger privilegierten Stadtteilen statt. Wie findet man diese oft versteckten Ecken, wenn man nicht wirklich ortskundig ist?

Insidertipps - wie gesagt, es gibt eine Menge netter Menschen in Bochum, die mir grundlos helfen.


Sie haben schon früh mit dem Schreiben begonnen. War es schwer für Sie, einen Verlag zu finden? Und wie ist es, wenn man irgendwann bei Wikipedia einen Artikel über sich selbst findet?

Geschrieben habe ich schon immer, allerdings brauchte es jede Menge Zeit und Ratgeberlektüre, bis etwas Lesbares dabei herauskam. Mit dem Manuskript von „Der 13. Brief“ habe ich die Verlagssuche gewagt und den Text zum Dortmunder Grafit Verlag geschickt, weil Verlag und Geschichte gut zusammenzupassen schienen und Grafit auch Krimis etwas abseits des Mainstreams im Programm hat. Dass Lilas Geschichte recht gewagt ist, habe ich schon damals geahnt. Es war unglaubliches Glück, aber Grafit ist tatsächlich der einzige Verlag, dem ich das Manuskript geschickt habe. Und die „künstlerische Freiheit“ ungewöhnliche Bücher veröffentlichen zu können, ist unbezahlbar.

Es gibt einen Wikipedia-Artikel über mich? Okay, mal im Ernst: Zwischen Beruf, Kindern und Schreiben bin ich froh, wenn ich es schaffe, meine eigene Homepage auf dem Laufenden zu halten. Mich selbst googele ich nicht.


Sie sind eigentlich Physiotherapeutin, wann und wie finden Sie neben Beruf und Familie die Zeit zum Schreiben? Gibt es feste Rituale für Ihre Schreibarbeit?

Ich arbeite seit achtzehn Jahren in der orthopädischen und psychosomatischen Rehabilitation – im Moment in Teilzeit. Den Spagat zwischen Beruf und Familie, an dem meine Protagonistin Eddie zu scheitern droht, kenne ich also aus eigener Erfahrung. Nebenbei Bücher zu schreiben gelingt durch viel Unterstützung meiner Familie. Außerdem lieben meine Kindern Wochenenden im Kleingarten und Besuche im Bergbaumuseum, im Musical oder der Kletterhalle in Bochum.


Lesen Sie selbst gern und wenn ja, was sind Ihre Lieblingsgenres? Welche Bücher nehmen Sie mit in den Urlaub? Und welche mögen Sie gar nicht?

Ich lese eigentlich immer. Auf bestimmte Genres beschränke ich mich nicht. Neben Krimis lese ich Romane und Biografien und zurzeit recht häufig Fantasy-Geschichten für Kinder. Und natürlich stehen viele Sachbücher zu Themen wie „Waffenrecht“, „Kriminalistisches Denken“ oder „Knast“ in meinem Regal.

In rosa oder hellblau verpackte Schnulzen lese ich auch mal. Die kleinen Lovestorys am Rande meiner eigenen Krimis schreibe ich allerdings lieber ein bisschen dunkler und wenn möglich mit „Geht-ja-gar-nicht“-Effekt wie bei Lila und Danner. Oder Eddie und … ?


Und zum Schluss noch eine ganz wichtige Frage: Wann geht es weiter mit Eddie Beelitz? Und können Sie sich vorstellen, auch mehr als die zwei geplanten Fortsetzungen zu schreiben?

„Jenseits von schwarz“, der zweite Band der Reihe, erscheint im Frühjahr 2019. Teil drei ist für Herbst geplant. Auch bei der Jenseits-Trilogie hatte ich das Ende von Anfang an im Kopf und habe es mittlerweile auch zu Papier gebracht. Ich liebe dieses Format, das neben einzelnen, abgeschlossenen Krimis eine große Geschichte über mehrere Bücher hinweg erzählt. Nach drei Bänden ist auch dieses Mal definitiv wieder Schluss.


Ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Interview!

© grafit Verlag