In seinem großen europäischen Roman spannt Robert Menasse einen weiten Bogen zwischen den Zeiten, den Nationen, dem Unausweichlichen und der Ironie des Schicksals, zwischen kleinlicher Bürokratie und großen Gefühlen.
Autor: Robert Menasse |
Die Grundidee der Handlung
60 Jahre Römische Verträge – Grundlage unserer heutigen EU. Grund genug für Robert Menasse den weltweit ersten Roman über die EU zu schreiben. Und nicht nur die EU und ihre Institutionen, auch Brüssel und Europa werden mit seiner Ironie bedacht. Leser Menasses wird das erstaunen, kennen sie ihn doch als glühenden Anhänger der EU.
Für diesen Roman verbrachte Menasse vier Jahre in Brüssel, sprach mit zahlreichen Beamten, nahm an unzähligen Sitzungen teil und kann für seinen Roman aus den Vollen schöpfen. Anhand unterschiedlicher Figuren, die alle irgendwie mit der EU und deren Institutionen verbunden sind, entwirft er einen wandelbaren Rundumblick einer Europäischen Union, von der sich niemand so recht ein Bild machen kann, und legt den Finger direkt auf die Wunde, in Zukunft die Nationalregierungen entbehrlich zu machen – Sprachenwirrwarr, Kulturbarrieren und Regulierungswahn zum Trotz.
Stil und Sprache
Hauptthema dieses Romans ist das „Jubilee Project“ zu 60 Jahre Römische Verträge, in dem sich wieder einmal mehr zeigt, wie sich die einzelnen Institutionen gegenseitig im Weg stehen.
Schon der Anfang, in dem eine Sau durch das Dorf Brüssel läuft, legt den Ton dieses bissig-elegant geschriebenen Romans fest. Als bedachter Europäer sorgt Menasse sich um die eigentlichen Werte der EU, Frieden und Stabilität, gleichzeitig treibt er die Sau durch die heimliche Hauptstadt Europas, um dann pointenreich und tiefsinnig über die drängendsten Probleme, Renationalierung und Demokratiekrise, zu philosophieren. Auch zeigt sich anhand des Schweins, dass es mit der Haltung, der Tötung und dem Export den Gesetzen verschiedener Generaldirektionen der Europäischen Kommission unterliegt und sich hier die ganze Tragikomik illustriert.
Auch wenn sich der Roman als Satire liest, ist er analytisch intelligent und kurzweilig geschrieben.
Figuren
Das Schwein hat noch eine weitere Funktion: Es kommt während seines Laufs an den Protagonisten dieses Romans vorbei, die der Erzähler nacheinander auf elegante Weise vorstellt. Neben den Brüsseler Bürokraten, die für das Jubilee Project verantwortlich sind, lernen wir David de Vriend kennen, einen der letzten Auschwitzüberlebenden, der für das EU-Geburtstagsprojekt als Zeuge der erhabenen, ursprünglichen Absicht der EU, nie wieder Auschwitz!, herangezogen werden soll. Neben de Vriend sind ein Mörder, ein Kommissar, ein emeritierter Professor, insgesamt sieben Protagonisten, deren Lebensgeschichten der Roman parallel erzählt und gewitzt miteinander verwebt. Die Figuren sind das Ebenbild eines nationalen Europas, das sich als Einzelkämpfer versteht und nicht als Konsens.
So babylonisch Brüssel ist, so sind es auch die einsamen Akteure. Die feingesponnenen Biografien führen uns tief in die europäische Historie quer durch den Kontinent, in den Widerstandskampf Mateusz Oswiecki, der Länderzugehörigkeit der zypriotisch-griechischen Fenia Xenopoulou oder des depressiven Österreichers Martin Susman, der das Jubilee Project angestoßen hat. Brüssel selbst gehört ebenso zu den Protagonisten. Menasse zeichnet ein treffendes Alltagspanorama der Hauptstadt.
Kommissar Brunfaut, der über die Endlichkeit seines Lebens nachdenkt, kommt durch den Auftragsmörder Oswiecki einem katholischen Killernetzwerk auf die Spur. Von höchster Stelle, der NATO, wird ihm der Fall entzogen; Alois Erhart, der in einem Think Tank über die Zukunft Europas sinniert und die Lobbyisten der EU sind allesamt sympathisch gezeichnete Figuren. Man folgt ihnen ein Stück ihres Weges, erfährt etwas von ihrer Vergangenheit und verlässt sie wieder.
Die Hauptstadt ist ein schönes Lehrstück darüber, wie Winkelzüge betrieben, rücksichtsloser Ehrgeiz und nationale Interessen der Mitgliedsländer hinter verschlossenen Türen geltend gemacht werden.
Aufmachung des Buches
Das Hardcoverbuch ist in dezenten schwarz-weiß gehalten mit der Brüsselsilhouette als Piktogramm. Das Buch ist mit einem Schutzumschlag versehen und hat ein Lesebändchen.
Fazit
Der Europa-Enthusiast Robert Menasse wirft einen kritischen Blick hinter die geschlossenen Türen der EU und ihre Institutionen. Witzig und mit schwarzem Humor geschrieben ist es eine hellsichtige Vermittlung zur richtigen Zeit.
Hinweise
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