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Eine Kurzgeschichte aus dem SunQuest Universum

Die folgende Geschichte setzt parallel zum Schlusstakt von Band 1 – „Escendio“ ein und beleuchtet ein kleines Wegstück der Figuren aus Band 2 – „Das flüsternde Orakel“.


Less - Baronie Castata
3. Lunarium des 3.891ten Quartenniums


Der Boden vibrierte. Sandkörner tanzten über die sonnenverbrannte Ebene, als Tiddlewog Twix in seinem Ungetüm vorwärts rollte.
„Verfluchte Menschlein! Kein Erbarmen haben sie“, schimpfte der Echsenmann, während er auf den Streben seines kugeligen Gefängnisses entlangrannte. „Mich in einen Käfig zu sperren und auf dem Marktplatz an den Büßerpfahl zu hängen, nur weil ich geschickt zu verhandeln weiß!“
Tiddlewog knurrte, streckte seine blassblaue Zunge heraus und tastete die Luft ab. Neben dem Geschmack von Salz und Staub trug der Wind eine Prise Mensch, gemischt mit Beggerduft heran. Kopfgeldjäger auf ihren zottigen Reittieren! Er schnappte verärgert ins Leere, beschleunigte seine Schritte und fixierte aus zusammengezogenen Pupillenschlitzen den Horizont. „Schnell, schnell! Bloß nicht anhalten!“
Wie so oft vertraute er seinem Instinkt und dem Glück, das einer der Götter über seiner Wiege ausgegossen zu haben schien. Oder war es für heute bereits verbraucht?
Erst hatte ein Müllhaufenwesen in der Stadt gewütet und sich einen Zweikampf mit diesem Lichtdrachen geliefert. Dann war bei all dem Gerangel ein Mauerstück gegen die Verankerung des Kugelgefängnisses geflogen und hatte Tiddlewog die Freiheit geschenkt – wenn auch nur teilweise. Denn er steckte ja immer noch in diesem Käfig fest. Aber solch eine Kleinigkeit konnte einen einfallsreichen Kuntar nicht aufhalten.
In all dem Durcheinander hatte er die Wachen am Stadttor einfach überrollt, sich gen Osten gewandt und walzte seither geradeaus durch die immer karger werdende Landschaft.
Ein sanftes Rotviolett im Strahlenkranz des Gasplaneten Fathom kündigte die hereinbrechende Nacht an. Eine weitere Fügung des Schicksals. Denn im Gegensatz zu seinen Verfolgern konnte Tiddlewog im Dunkeln hervorragend sehen.
„Gebt auf, ihr Menschlein!“
Doch diesen Gefallen taten die Jäger Tiddlewog nicht – im Gegenteil.
Nach Stunden der Hatz hing dem Kuntar die Zunge aus dem Maul. Bei einem Blick über die Schulter konnte Tiddlewog die auf- und niederwippenden Silhouetten seiner Verfolger vor dem Aschgrau des Nachthimmels bereits ausmachen. Und er sah auch, warum sie trotz der Dunkelheit keine Probleme hatten, ihm zu folgen.
Kuntarspuren mochten wegen ihrer anschmiegsamen Sohlen und den Häuten zwischen den Zehen im Sand fast unsichtbar sein, die eines metallenen Zwei-Meter-Kugelkäfigs nicht.
Irgendwie musste sich Tiddlewog befreien – befreien und dringend verschnaufen. Er brauchte Flüssigkeit, oder zumindest ein paar Pflanzensamen, in denen sich noch Leben regte, damit er sie mit seiner Psimagie wachsen lassen konnte. In der Nähe musste ein Wasserloch sein. Also nutzte er abermals seine Zunge. Mittlerweile war sie angeschwollen, trocken und rau. Trotzdem schmeckte er zu seinem Entzücken einen Hauch frischen Grüns halbschräg voraus. Zwei Seitwärtsschritte reichten, um den Kurs zu korrigieren.
„Lauf, lauf, Tiddlewog!“, rief er, fuhr sich mit dem letzten Rest Spucke über die Augen und blinzelte.
Bald zeichneten sich hüfthohe Schatten vor ihm ab: Filofruchtbüsche. Und da war noch etwas, das Tiddlewog bemerkte; etwas Süßes und gleichzeitig Rauchiges.
Von Durst getrieben stolperte der Kuntar auf den letzten Metern, schlug mit seiner Schnauze auf das Metallgeflecht seines Gefängnisses und wurde vom Schwung mitgerissen. Schultern, Knie und Hüfte prallten wieder und wieder gegen das Gitter, bis Tiddlewog vor Schmerzen gelbe Flecken vor Augen sah.
Nur vage nahm er dabei wahr, dass sein Gefängnis durch einen Ring aus Büschen pflügte, eine schräge Steinplatte hinabdonnerte und schließlich vor zwei Felsbrocken kurz vor dem Wasserloch zum Stehen kam.
„Toller Spaß!“, schnaubte er, rieb sich die pochenden Augenwülste und zog sich mit einem Ächzen hoch. Erst da fiel ihm auf, dass ein paar Schritte weiter ein Licht flackerte.
„Habt Erbarmen! Tiddlewog Twix ist unschuldig!“, rief er den vermeintlichen Kopfgeldjägern zu.
Doch der rauchigsüße Duft verriet die Fremde, noch bevor sie in den Schein des Lagerfeuers trat. „Verschwinde! Das ist mein Wasserloch!“
Der Kuntar duckte sich, nahm das Kinn nach unten und blickte die Frau mit einem sanftmütigen Augenaufschlag an. „Hilf einem armen Echsenmann in Not.“
„Hau ab, sag ich!“ Die jugendliche Humain holte aus und schleuderte einen Feuerball gegen das Gitter.
Doch so leicht gab sich Tiddlewog nicht geschlagen. Schließlich war seine Art berühmt für ihre betörenden Mimikryfähigkeiten. Er duckte sich noch ein bisschen tiefer, fixierte das Gesicht der Frau und säuselte: „Eine mächtige Kriegerin scheinst du zu sein. Eine Beschützerin. Rette den kleinen Kuntar. Hilf ihm aus seinem Gefängnis und gewähre ihm gnädig einen Schluck Wasser, damit er nicht verdursten muss.“
Die Frau senkte die Hände und machte einen zögerlichen Schritt auf ihn zu. „Warum steckst du in diesem Ding?“
Der Kuntar wiegte sich hin und her. Mitleid war bei Menschen ein guter Angriffspunkt, also antwortete er: „Böse Menschlein haben Tiddlewog eingesperrt. Böse, böse Menschlein.“
„Und warum?“
Er warf sich auf die Knie und streckte flehend eine Hand durch das Gitter. „Kein Grund! Nur Spaß. Unterhaltung für die Menschlein, aber ganz bestimmt nicht für Tiddlewog Twix.“
„Fass mich nicht an!“ Die junge Frau wich zurück.
Sie schien immer noch unschlüssig. Also versuchte es der Echsenmann auf andere Weise. Er züngelte kurz, um ein passendes Ziel auszusuchen, ballte die Hände, konzentrierte sich und schickte seine Psimagie in den Pflanzensamen. Einen Augenblick später reckte sich vor ihr ein Halm aus dem sandigen Boden empor, trieb aus und wuchs in Zeitraffer zu einem mit Früchten beladenen Busch heran.
„Ein Geschenk für die Retterin!“, hauchte Tiddlewog unter gespielter Erschöpfung.
Die hochgezogene Augenbraue der Fremden zeigte mehr Verwunderung als großartige Dankbarkeit. Als sie dennoch zugreifen wollte, sauste etwas Haariges hinter ihrer Reisetasche hervor und fauchte.
„Muksch, du alte Glucke, das sind doch nur Früchte!“
„Nicht giftig. Ich beweise es!“, sagte Tiddlewog und rutschte auf Knien vorwärts, bis der Käfig nah genug an den Busch herangerollt war.
Er griff ein Stück Obst und biss zu. Im Maul mischte sich der bittere Geschmack der Schale mit der Säure des Fruchtfleisches. Der Kuntar grunzte genüsslich, und auch die Humain schmatzte bereits, während ihr Felltier wachsam zwischen ihnen patrouillierte.
„Na gut, Tiddlewog Twix, ich helfe dir, wenn ich kann“, sagte die Menschenfrau, ging zu ihrer Tasche, nahm eine Schale, füllte sie mit Wasser und reichte sie ihm mit ausgestrecktem Arm. „Und jetzt tritt zurück. Es wird heiß.“
Sie hielt ihre Handflächen so, dass sich die daraus strömenden Feuerstrahlen an einem der Kreuzungspunkte des Gitters trafen. Das Metall dampfte, wurde schwarz und fing an zu glühen. Trotzdem dauerte es in Tiddlewogs Augen eine Ewigkeit, bis das Eisen zu Boden tropfte und sie sich die nächste Stelle vornahm.
Er trippelte nervös. Erstens, weil sich die Hitze auch auf das restliche Kugelkonstrukt ausbreitete. Und zweitens, weil die Kopfgeldjäger schon in der Nähe sein mussten.
„Schneller, liebe gute Menschin!“, bettelte er.
„Ich heiße nicht Menschin, sondern Mereena“, antwortete sie, „und hetzen lasse ich mich von dir schon gar nicht.“
Warum auch. Sie wusste ja nicht, dass der Kuntar verfolgt wurde.
Der Geruch von Ruß machte es Tiddlewog unmöglich, die Jäger zu orten. Aber nach dem vierten Schweißerfolg spürte er plötzlich tief in seiner Magengrube, dass es zu spät war. Sie waren hier! Mit angehaltenem Atem starrte er auf seine Retterin, und ihm wurde klar, dass die Jäger auch sie nicht verschonen würden.
„Mereena ... Tiddlewog muss dir etwas ...“
Weiter kam er nicht.
Drei bullige Männer im Lederwams mit kupferverstärkten Arm- und Beinschienen stürzten aus dem Dunkel. Ihre hoch erhobenen Barsakaniklingen ließen keinen Zweifel daran, dass ihr Auftrag „tot oder lebendig“ hieß.
Reflexartig hechtete Tiddlewog gegen das Gitter, rollte vorwärts und stieß Mereena mit einer groben Handbewegung zu Boden.
Im selben Moment fraß sich die Schneide eines Bihänders in den Käfig. Funken sprühten. Dann der nächste Schlag von der gegenüberliegenden Seite.
Tiddlewog sah in das schreckgeweitete Gesicht seiner Helferin, sah, wie sie die Handflächen auf einen der Jäger richtete und ... nichts. Keine Flammen.
Stattdessen sprang ihr Fellbegleiter zwischen sie und den dritten Angreifer und verformte sich in Sekundenschnelle zu einer chromglänzenden Stachelkugel!
Doch dem Kuntar blieb keine Zeit zum Staunen. Weitere Schläge trafen die Gefängnisgitter. Er warf sich zur Seite. „Aufhören! Tiddlewog ergibt sich!“, schrie er und hob abwehrend die Hände.
Als aus den Fingern plötzlich ein kurzer Flammenstrahl schoss, war der Echsenmann so verdattert, dass er sich um eine Hautschuppe beinahe selbst versengt hätte.
Tiddlewog blickte auf seine kribbelnden Finger, dann auf Mereena, die von einem Kranz frischer Pflanzentriebe umgeben war, und begriff. Sie war keine Feuerschöpferin im eigentlichen Sinne, sie war ein Tauscher! Deshalb hatte sie hier draußen in der Einöde campiert und sich vor Berührungen gefürchtet! Bei Körperkontakt sprang die Psimagie des Berührten auf sie über - im Tausch mit ihren.
Während Muksch wie ein zum Leben erwachter Morgenstern durch die Reihe der Angreifer jagte, robbte seine Herrin zu Tiddlewog.
„Es ist passiert, als du mich weggestoßen hast“, sagte sie entschuldigend. „Ich bin ...“
Er nickte und hielt seine Hände vorsichtig durch das Gitter. „Schnell, mach es rückgängig! Tiddlewog kann nicht umgehen mit dieser Macht.“
Sie schüttelte den Kopf. „Das geht nicht. Die Psimagie muss sich mit dir erst richtig verbinden, sonst reißt sie dein Leben mit sich.“
Der Kuntar züngelte voller Verzweiflung. „Was dann, was kann Tiddlewog tun? Die Kopfgeldjäger werden ihn töten, und Mereena mit dazu!“
„Kopfgeldjäger?“
Jetzt war es an dem Kuntar, schuldbewusst drein zu blicken. „Nur ein ganz kleines Vergehen.“
„Von wegen!“ Der größte der drei Angreifer stand mit erhobener Waffe vor ihnen und fletschte die Zähne. „Du hast dem Baron mit deinen vermaledeiten Grimassen eine Schale Obst zum Preis des gesamten Kristallvorrats angedreht! Du verschlagene Missgeburt!“
Tiddlewog warf sich ergeben auf den Käfigboden und zeigte seinen besten Mitleidsblick. „Lasst den armen Kuntar heil! Schleift ihn auf euren Tieren zurück, holt euch die doppelte Prämie für sein Leben und lasst seine Freundin ziehen.“
Der Jäger lachte. „Ich werde mir doch nicht den Spaß entgehen lassen, ein so hübsches Mädel zu teleportieren.“ Die Klinge über Mereenas Hals haltend, sah er sich nach seinen Kumpanen um. „Hab ihr das Vieh endlich erledigt?“
Tiddlewogs Blick traf den von Mereena. Der Jäger war ein Teleporter! Nichts Ungewöhnliches in seiner Berufssparte. Auf diese Weise konnten Gefangene schnell und ohne Fluchtgefahr zum Auftraggeber zurückgebracht werden, während der Rest der Mannschaft mit der Ausrüstung und den Tieren die lange Route ging. Denn einen Nachteil hatte das Durch-den-Raum-Springen: man kam am Ziel mit nichts als seinem Leben und der nackten Haut wieder heraus.
„Bitte, verschont uns“, flehte Mereena und strich besänftigend mit der Hand über das kupfergeschiente Bein des Anführers.
„Pfeif zuerst deine Bestie zurück, dann sehen wir weiter.“ Seine gekräuselten Mundwinkel verrieten, an was er dabei dachte.
Als sich Muksch gehorsam neben sie setzte, nahm der Jäger seine Schneide von ihrer Kehle, beugte sich herab und tätschelte ihre Wange. „Braves Mädchen.“
Ein Fehler!
Mereena wand blitzartig den Kopf und flüsterte ihrem haarigen Begleiter etwas zu. Noch während sich der Jägeranführer aufrichtete, verwandelte sich Muksch, machte sich lang und schlang seine metallenen Enden um ihren und Tiddlewogs Arm.
Das Letzte, was der Kuntar sah, war das schmerzverzerrte Gesicht seiner Retterin, dann sprangen sie durch den Raum und landeten einen Lidschlag später im Sand – irgendwo in einer weiteren Einöde auf Less.
„Für’s erste Mal nicht schlecht“, bemerkte der Kuntar anerkennend, als er sich, befreit von seinem Kugelkäfig, aufrichtete. „Aber musste es unbedingt eine Wüste sein?“ Sein Blick schweifte über die fremde, in Nachtgrau getauchte Landschaft. Hier und da wuchsen starre Gebilde aus dem Boden. Im Osten zeichnete sich der Umriss einer trichterförmigen Konstruktion am Horizont ab.
„Schau, schau, Tiddlewog hat etwas entdeckt!“, rief der Echsenmann. Als Mereena immer noch nichts sagte, drehte er sich nach ihr um.
Sie lag im Sand, nackt, die Augen aufgerissen, das Gesicht verzerrt, der Körper im Krampf erstarrt. Muksch kauerte neben ihr, die kleinen Fellpfötchen auf die Brust seiner Herrin gelegt.
Der Kuntar trat näher, kniete sich hin und legte die Finger an ihren Hals. Kein Puls. Die neue Psimagie war zu viel für sie gewesen, zu stark, zu Kräfte raubend. Und er, Tiddlewog Twix, war Schuld daran!
Als in der Ferne die ersten blassgelben Schlieren die Nacht verdrängten, schloss Tiddlewog seiner Retterin die Augen, hob sie vorsichtig auf und wandte sich der Formation am Horizont zu.
„Komm, Muksch. Mit etwas Glück findet Tiddlewog jemanden, mit dem sich verhandeln lässt.“


Anmerkungen:
27. Jan. 2008


Veröffentlichung auf www.leser-welt.de mit freundlicher Genehmigung von LITERRA.

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