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Ein Marillenbaum in einem alten Wiener Garten. Seit ihrer Kindheit in den 1940er Jahren kocht Elisabetta jeden Sommer Marmelade ein. Und jedes Mal, wenn sie ein Glas aus dem alten Kellerregal in die Hand nimmt, es öffnet und den süßen Duft einatmet, erinnert sie sich: an ihr Leben, an ihre in Dachau ermordete Familie, an ihre große Liebe Franz, an ihre Tochter Esther und ihre Enkelin Rahel. Elisabetta lebt zurückgezogen in ihrer Welt mit den Stimmen der Vergangenheit. Als die Tänzerin Pola bei ihr zur Untermiete einzieht, reißen die alten Wunden auf.

 

Das Marillenmaedchen HB 

Originaltitel: Das Marillenmädchen
Autor: Beate Theresa Hanika 
Sprecher: Hemma Michel
Verlag: Audio Media Verlag
Erschienen: September 2016
ISBN: 978-3-95639-170-5
Spieldauer: 377 Minuten, 5 CDs; ungekürzte Lesung


Die Grundidee der Handlung
Elisabetta leidet darunter, dass die junge Deutsche Pola in ihr Haus im Zentrum von Wien eingezogen ist. Denn Pola erinnert sie an entsetzliche Dinge, die in ihrem Leben geschehen sind - an Verlust und Trauer. Elisabtta ist die einzige Überlebende ihrer Familie. Eine jüdische Familie, die bis auf die Jüngste in Dachau gestorben ist. Weil sie nicht daheim war, als die Mutter und die beiden Schwestern abgeholt wurden, bleibt das kleine Mädchen mit ihrer Schildkröte "Hitler" im großen Haus der Familie zurück. Sie übersteht den Krieg, findet Arbeit und bleibt ihr ganzes Leben dort, wo sie noch die Geister ihrer beiden Schwestern spürt. Jahr für Jahr kocht Elisabetta die Marillen ein und konserviert so den Duft und die Erlebnisse des entsprechenden Sommers. Dazu gehört auch die unglückliche Liebe zu Franz, der niemals Elisabetta, sondern deren Schwester Rahel wollte und die unglücklich Verliebte nur benutzt. Mit Polas Einzug geraten die Geister der beiden ermordeten Schwestern in Aufregung und versuchen Elisabetta zu zwingen, die verhasste Deutsche zu vertreiben.

Es ist ein faszinierendes Werk, das Beate Theresa Hanika geschaffen hat. Gleichzeitig aber auch eines, bei dem man in Gefahr gerät, über einige Details zu stolpern. Allem voran die zumindest anfänglich ungewöhnliche Präsenz der beiden Schwestern - und damit einhergehend die Namensgleichheit der Schwester mit der Enkeltochter. Das führt immer wieder zu Situationen, in denen der Hörer sich nicht sicher ist, von welchem Mädchen denn jetzt die Rede ist, in welcher Zeit man sich gerade befindet. Das wird verstärkt durch den neu aufgeflammten Antisemitismus, dem die Enkelin Rahel genauso unterworfen ist wie damals die ältere Schwester Elisabettas. Obwohl man sich dessen bewusst ist, dass es sich hier um einen Roman handelt, stolpert man über einige Punkte, die nicht ganz stimmig sind. So steht außer Frage, dass das feudale Haus der Familie im Zentrum von Wien kaum einem kleinen Kind überlassen worden wäre, nachdem Vater, Mutter und zwei der drei Töchter deportiert wurden. Auch das jahrelange Verschwinden der Schildkröte "Hitler" und die fast banal wirkende Erklärung wollen sich nicht so richtig einpassen. Sieht man jedoch von diesen störenden Details ab, wird man mit "Das Marillenmädchen" eine eindrückliche Schilderung einer bedrückenden Zeit in Händen halten und gleichzeitig viel über Vergebung erfahren.


Darstellung des Hörbuchs
Um der alten Elisabetta eine Stimme zu verleihen, hat der Verlag auf die professionelle Rundfunksprecherin Hemma Michel gesetzt. Es zeigt sich, dass das eine gute Wahl war. Mit viel Fingerspitzengefühl geht die Sprecherin mit der fragilen Geschichte so um, dass sie für den Hörer erlebbar wird. Sie verleiht ihrer Stimme Nuancen, spielt mit leiseren und lauteren Tönen, verändert Tempi und gibt auf diese Weise dem Hörbuch eine unglaubliche Lebendigkeit. Damit vermag sie über manche Länge im Roman hinweg zu helfen und unterhält den Hörer über die ganzen fünf CDs hinweg auf eine angenehme Weise. Dass dies ohne Begleitmusik geschieht, fällt nicht ins Gewicht. Positiv anzumerken ist, dass der Verlag auf die Gesamtlesung setzt und keine Kürzungen vorgenommen hat.


Aufmachung des Hörbuchs
Präsentiert wird das Hörbuch in einem schlichten Falt-Karton, der seinen Zweck durchaus erfüllt, jedoch kaum Informationen enthält. Lediglich auf der Rückseite gibt es einen kurzen Beschrieb von Werk und Sprecherin. Die CDs sind im Karton recht gut aufgehoben, rutschen auch nicht allzuleicht heraus, wenn sie ein oder zweimal aus ihrer Lasche gezogen wurden. Wer auf Reisen geht, wird dennoch gut daran tun, den Karton mit einem Band zu sichern.


Fazit
Ein berührendes Thema, eine ungewöhnliche Umsetzung der Geschichte und eine hervorragende Lesung machen "Das Marillenmädchen" durchaus zu einem Hörerlebnis. Allerdings gibt es doch ein paar Schwächen, die hingenommen werden müssen. So wird dieses Hörbuch vor allem ein Publikum ansprechen, das bereit ist, sich auch auf skurrile Begebenheiten einzulassen und eine Portion schwarzen Humor vertragen kann.


3 5 Sterne


Hinweise
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