Nach dem Mord an seinem Vater wächst Wilhelm als Müllergehilfe bei seinem tyrannischen Onkel in Burgelon (heutiges Bürglen UR) auf. Als die hübsche Anna eines Tages bei ihm Korn zum Mahlen in Auftrag gibt, ist es um Wilhelm geschehen. Doch als er sie am Johannisfest zum Tanz ausführt, kommt es zu einer folgenschweren Schlägerei mit dem reichen Hermann von Spiringen. Wilhelm sieht sich dazu gezwungen, seine Heimat zu verlassen und sich als Söldner zu verdingen. Er erlernt in einer Söldnerkompanie das Armbrustschiessen, verschafft sich unter den rauen Burschen rasch Respekt und steigt in der Hierarchie bis zum dritten Stellvertreter des Hauptmanns auf. Doch dann begegnet er eines Tages dem Mörder seines Vaters...
Dieser packende Roman erzählt einerseits die bisher unbekannte Geschichte der Jugend Wilhelm Tells und andererseits die bekannte Legende vom sagenhaften Rütlischwur und vom Apfelschuss – aber in neuem Licht.
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Die Grundidee der Handlung
Wilhelm Tell: Unerschrockener Kämpfer für die Freiheit vom Joch der Habsburger. Der „Apfelschuss“ hat ihn berühmt gemacht, Städte errichteten ihm Denkmäler, seit Ende des 19. Jahrhunderts gilt er als Nationalheld der Schweiz - ABER: Es gab ihn wahrscheinlich gar nicht !
Der Schweizer Autor Thomas Vaucher erzählt das fiktive Leben des legendären Mannes, wie es gewesen sein könnte und fügt es perfekt und glaubwürdig in die tatsächlichen geschichtlichen Ereignisse – wie sie sich Anfang des 14. Jahrhunderts in der damaligen Schweiz abgespielt haben – ein.
Stil und Sprache
Auch in seinem dritten historischen Roman greift der Autor ein Stück Geschichte seiner Heimat auf und zwar diesmal das wohl bekannteste, nämlich die Entstehung der „Alten Eidgenossenschaft“ mit der Sage des berühmten Rütlischwurs. In einer sehr gelungenen Mischung aus fiktiven Elementen und verbürgter Überlieferung erzählt er, wie sich Männer aus Uri, Schwyz und Unterwalden auf dieser versteckten Wiese über dem Vierwaldstättersee trafen und einen Bund gegen die tyrannische Willkürherrschaft der habsburgischen Vögte schlossen.
Der Leser erlebt die Handlung beinahe ausschließlich aus der Sicht von Wilhelm (Helm). Er erfährt, wie der Fünfjährige seinen Vater verliert und 14 Jahre später gegen seinen brutalen Onkel aufbegehrt, sich in Anna verliebt, mit Hermann von Spiringen aneinander gerät und fliehen muss.
Thomas Vaucher schildert das alles sehr bildhaft, mitreißend und authentisch.
Der historische Hintergrund ist sehr gut beleuchtet, die Situation der Menschen, die unter der ungerechten Obrigkeit leiden, wird durch viele Beispiele - die tatsächlich so oder ähnlich geschehen sind - verdeutlicht und weckt Interesse und Anteilnahme.
Die ausdrucksstarke Sprache und der angenehm flüssige Schreibstil des Autors lassen keine Längen aufkommen. Der Spannungsbogen liegt von Anfang an sehr hoch und zieht sich durch das ganze Buch bis zum dramatischen Finale, das man so nicht erwartet hätte und das den Leser ziemlich fassungslos - und von den unterschiedlichsten Gefühlen überwältigt - zurück lässt.
Figuren
Einige Personen des Buches sind historisch und im Verzeichnis als solche gekennzeichnet: König Rudolf v. Habsburg, Bischöfe und Adelige seiner Umgebung, aber auch einige der Schweizer - „Eidgenossen“ und ihre Gegner - wie z.B. Walter Fürst, Walter v. Spiringen, Werner Stauffacher und Beringer v. Landenberg.
Über ihre Rolle in der Geschichte kann man tatsächlich einiges nachlesen, sie wird aber auch teilweise im Nachwort erklärt.
Dass Thomas Vaucher aus einigen dieser Männer frühere „Schattenläufer“ und damit ehemalige Kampfgefährten seines Helden Wilhelm Tell (Helm) macht, ist eine glänzende Idee, die der an sich schon spannenden Handlung noch zusätzlichen Reiz verleiht.
„Die Schattenläufer“, denen sich Helm auf seiner Flucht vor der Rache der Spiringer anschliesst, sind eine Truppe von Söldnern, die unter ihrem Hauptmann Schatt für vertraglich festgesetzten Sold in fremden Heeren kämpfen. Bei ihnen erlernt Helm das Armbrustschiessen und nimmt an mehreren Kriegszügen teil. Nach und nach erfährt er – und damit auch der Leser – die verschiedenen Schicksale, die die Gruppe zusammen geführt hat und die Geschichte der seltsamen Namen, die sie untereinander benutzen. „Beisser, Kopfspalter, Bluttrinker, Zwiebelarsch oder Schrecken der Alpen“ – jede dieser Bezeichnungen steht für einen Mann und sein ganz besonderes Abenteuer, meistens mit ernstem Hintergrund, aber manchmal - wie im Fall von „Zwiebelarsch“ - auch einmal lustig.
Helm findet Freunde unter ihnen, merkt aber auch bald, dass einigen nicht zu trauen ist. Als kämpfende Truppe zwingt sie die Notwendigkeit zum Zusammenhalten, aber was die Kameradschaft tatsächlich wert ist, wird sich erst Jahre später zeigen.
Die Frauen, die in der Geschichte eine größere Rolle spielen – Anna, Louise, Engel und Eva – sind durchweg sehr einfühlsam und glaubwürdig geschildert, die Figuren besitzen Tiefe und Charakterstärke und ihre Motive sind jederzeit nachvollziehbar, wenn auch nicht immer gut zu heißen.
Aufmachung des Buches
Das schwarze Hardcover trägt nur auf dem Rücken in weißer Schrift den Titel, den Namen des Autors und den Verlag. Die Innendeckel zeigen vorn und hinten eine Karte der Schweiz um 1307, sowie eine Nebenkarte mit mittelalterlichen Handelswegen. Wichtige Orte der Handlung sind mit ihrem alten und heutigen Namen aufgeführt.
Zwischen dem Prolog und dem Epilog von 1355 gliedert sich die Handlung in 2 Hauptteile mit 98 Kapiteln, die teilweise mit Ortsnamen versehen sind. Teil 1 umfasst 2 Kapitel von 1275 aus Wilhelms Kindheit, dann erfolgt ein Zeitsprung in das Jahr 1289. Teil 2 spielt sich gänzlich 1307 ab.
Nach einer Danksagung erklärt der Autor in seinem Nachwort Fakten und Fiktion seiner Geschichte. Ausführliche Verzeichnisse von Personen und Orten, ein Glossar und eine Literaturliste beschließen das Buch.
Auf dem dunkelroten Schutzumschlag erkennt man das Gesicht eines Mannes, halb verdeckt von den großen weißen Buchstaben des Titels. Darunter liegt eine Armbrust.
Fazit
Wieder einmal ist es Thomas Vaucher glänzend gelungen, mir ein großartiges Stück Schweizer Geschichte nahe zu bringen.
Obwohl Wilhelm Tell eine fiktive Person ist, konnte man das in diesem Buch beinahe vergessen … aber: Ist DAS wirklich ganz sicher ???
SCHADE eigentlich, denn genau SO könnte es gewesen sein
Hinweise
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