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"MAN MUSS MIT DER KLUGHEIT UND STURHEIT EINES ESELS POLITIK MACHEN" - HANS-CHRISTIAN STRÖBELE

Als er 2013 Edward Snowden in Moskau traf, adelte CNN ihn irrtümlich zum deutschen Außenminister. Hierzulande gilt er als moralische Instanz. Seit 1968 ist er das Gesicht der deutschen Linken – als streitbarer Verteidiger, Mitbegründer der Grünen, hartnäckiger Anwalt von Bürgerrechten. Stefan Reinecke zeichnet das Porträt eines der letzten Charaktere im Politgeschäft.

 

Stroebele 

Autor: Stefan Reinecke
Verlag: Berlin Verlag
Erschienen: 1. April 2016
ISBN: 978-3827012814
Seitenzahl: 464 Seiten


Inhalt, Stil und Sprache
Stefan Reinecke, "taz" Politredakteur und Biograph Otto Schilys, legt nun eine Biographie Hans-Christian Ströbeles vor. Das liegt nahe, denn beide entstammen einem großbürgerlichen Milieu, kennen sich seit Kindertagen, beide waren RAF-Anwälte und Mitglieder der Grünen. Der eine auf Seiten der Realos, der andere ein Fundi. Der eine wechselte zur SPD und wurde Innenminister, der andere blieb, war Abgeordneter und kontrolliert als Mitglied des PKG (Parlamentarisches Kontrollgremium) des Bundestages die Geheimdienste. Während Schily inzwischen für "law and order" steht, kämpft Ströbele immer noch wie zu Bundeswehrzeiten "mit den Regeln gegen die Autoritäten" (Seite 66). Der eine schreibt Bücher, der andere gründete die "taz" mit. Auch wenn das bisher Gesagte auf eine Doppelbiographie hinzudeuten scheint, so ist dies keineswegs so. Die Hauptperson ist Hans-Christian Ströbele und nicht Otto Schily. An Letzterem kommt Reinecke aber nicht vorbei, denn Ströbele und Schily treffen immer wieder aufeinander und sind heute in "liebevoller" Abneigung verbunden. Und so nutzt der Autor Schily in bestimmten politischen/historischen Situationen als Gegenpart, um aufzuzeigen wie Ströbele tickt.

In seiner Biografie geht Reinecke chronologisch vor und teilt das Leben des Porträtierten in Lebensphasen ein, die im Inhaltsverzeichnis stehen, ergänzt um Jahreszahlen und aussagekräftige Überschriften, so dass man sich bei Bedarf einzelne Kapitel aussuchen kann, die ohne die Kenntnis der vorangehenden verstanden werden können, da Reinecke manche Aussage oder Feststellung wiederholt. Innerhalb der Kapitel weicht er von diesem Konzept (Chronologie) ab und springt in der Zeit immer mal hin und her. Das irritiert zunächst, man gewöhnt sich aber daran und weil der Autor einen journalistischen Stil bevorzugt, lässt sich das Buch dennoch gut lesen. Es gibt einen politischen, öffentlichen Hans-Christian Ströbele und einen privaten. Über den Privaten erfährt man nicht viel, außer den üblichen Eckdaten. Das liegt wohl daran, dass man eine solche Trennung bei ihm nicht vornehmen kann. Er ist ein Kümmerer. Einer, der sich selbst treu bleibt und - so Reinecke – sein Tun nicht hinterfragt: "Was einmal als richtig erkannt wurde, wird bewahrt, geschützt und bis an die Grenze zum Starrsinn verteidigt" (Seite 213). Liegt es vielleicht daran, dass er noch immer mit einem Direktmandat in den Bundestag einzieht und als Moderator gefragt ist?

Bei aller Sympathie hinterfragt der Autor Ströbeles Denkart und Verhalten in bestimmten Situationen kritisch. Dabei fällt er ab und an auch ein Urteil ("So war es nicht", Seite 217), das nicht für Ströbele spricht. Dieses Urteil ist aber im Wesentlichen die persönliche, und leider argumentativ nicht ausreichend untermauerte, Meinung des Autors. Andererseits ist davon auszugehen, dass die LeserInnen über hinreichend historisches und (gesellschafts-) politisches Wissen und Verständnis zur Geschichte der (alten) BRD und (ehemaligen) DDR verfügen, so dass sie seine Urteile einzuordnen verstehen. Aus diesem Grund wird auch die allgemeine politische und gesellschaftliche Lage der jeweiligen Lebensphase wenig beleuchtet, dafür einzelne berufliche und politische Stationen, die im Leben Ströbeles eine herausragende Stellung einnehmen, ausführlich beschrieben. Subjektiv empfunden liegt dabei der Schwerpunkt auf seiner Tätigkeit als (RAF-)Anwalt und sein Eintreten für Bürgerrechte. Die dubiose Rolle, die die inländischen Geheimdienste nach dem 11. September spielten aufzuklären ist Ströbele wichtig, wie er dagegen deren Gebaren bei den NSU-Morden sieht, erfährt man nicht. Die NSU-Morde werden in diesem Buch, im Gegensatz zur NSA-Affäre, komplett ignoriert. Überhaupt fällt auf, dass viel zur linken, auch gewaltbereiten Szene geschrieben wird, die nationalsozialistische Vergangenheit, deren Aufarbeitung und die ebenfalls gewalttätige rechte Szene sowie ihre Mitläufer kaum erwähnt werden. Die Frage nach dem "Warum" möchte ich offen lassen.


Aufmachung des Buches
Das Hardcover ist grau eingebunden, mit rotem Lesebändchen und schwarz dominiertem Schutzumschlag versehen. Das Cover zeigt Hans-Christian Ströbele in nachdenklicher Pose. Dazu passt der in Rot gehaltene Titel. Im Anhang findet man die Anmerkungen, ausgewählte Literatur und ein Personenregister. 


Fazit
Eine auf Distanz bedachte, trotzdem empathische Biographie, die fundiert berichtet und nicht auf billige Emotionalisierung der LeserInnen setzt.


4 Sterne


Hinweise
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