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«Privatdetektiv. Kontaktieren Sie mich, wenn Ihnen die Polizei nicht helfen kann.»
Kouplan ist sein Anzeigentext zwar peinlich, aber wie sonst soll der junge Iraner in Stockholm an Aufträge kommen? Sein Asylantrag wurde abgelehnt und zurück in die Heimat, wo er als Journalist arbeitete, kann er nicht. Also untertauchen, irgendwie Geld verdienen. Als Privatdetektiv eben.
Und tatsächlich erhält Kouplan einen Anruf: Pernillas kleine Tochter Julia wurde entführt. Am helllichten Tag. Jeder würde die Polizei einschalten – doch für Pernilla ist das undenkbar. Seine Suche führt Kouplan in die Unterwelt, zu einem Mädchen hinter verschlossenen Fenstern, das Julia sein könnte. Das Pernilla jedoch nicht eindeutig identifizieren kann. Und immer deutlicher spürt Kouplan, dass etwas nicht stimmt.

 

Die Wahrheit hinter der Luege 

Originaltitel: Sanning med modifikation
Autor: Sara Lövestam
Übersetzer: Stephanie Elisabeth Baur
Verlag: rowohlt
Erschienen: 06/2016
ISBN: 978-3499271700
Seitenzahl: 288 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Kouplan braucht dringend Geld. Als abgelehnter Asylbewerber musste er untertauchen, lebt zur Untermiete in einem winzigen Zimmer. Legal arbeiten darf er nicht, stets ist er auf der Hut und fürchtet, entdeckt und ausgewiesen zu werden. Als dann endlich jemand auf seinen Anzeigentext reagiert, nimmt er den Auftrag von Pernilla an, nach ihrer kleinen Tochter zu suchen. Doch schnell stellt er fest, dass das nicht so einfach ist, wenn man selbst praktisch auf der Flucht ist. Außerdem scheint Pernilla etwas vor ihm zu verbergen und so richtet sich Kouplans Misstrauen auch ein Stück weit gegen seine Auftraggeberin. Was genau aber nicht stimmt, wird ihm erst sehr spät klar…

Sara Lövestam hat sich einen ziemlich ungewöhnlichen Ermittler ausgedacht und spinnt um ihn herum eine absolut außerordentliche Geschichte, in der nichts ist wie es scheint und in der praktisch jeder Beteiligte etwas zu verbergen hat. Sehr gelungen!


Stil und Sprache
Nach einem kurzen Prolog, in dem Pernilla aus der Ich-Perspektive vom Verschwinden ihrer Tochter Julia erzählt, wechselt die Erzählperspektive zu Kouplan, der jedoch in der dritten Person seine Sicht der Dinge schildert. Er hat den Löwenanteil beim Erzählen, nur gelegentlich kommt danach noch Pernilla zu Wort, außerdem ab und zu ein namenloses Mädchen und ein weiterer Beteiligter an dem von Kouplan verfolgten Entführungsfall.

Es gibt keine große Einführung von Personen oder Schauplätzen, vielmehr ergeben sich Hintergründe und Details nach und nach aus der Handlung. So bleiben alle Protagonisten etwas geheimnisvoll, man spürt als Leser immer wieder, dass da etwas nicht Greifbares an ihnen ist. Das trägt natürlich enorm zur Spannung bei und macht diesen gar nicht so handlungsreichen Krimi zu etwas Besonderem. Denn Kouplan stellt sich besonders zu Beginn eher dilettantisch bei seinen Ermittlungen an und man weiß sofort, dass er so sicher nicht zum Ziel kommen wird. Erst gegen Ende traut Kouplan sich an echte Schlussfolgerungen heran und ab da klappt es dann auch besser mit dem Fall. Die allerletzten Seiten bringen dann noch ein paar echte Überraschungen zutage und ich bin gespannt, ob es eine Fortsetzung geben wird.


Figuren
So einen Privatdetektiv kannte man bisher nicht: Kouplan ist abgelehnter Asylbewerber aus dem Iran, der sich vor den Behörden versteckt, um nicht abgeschoben zu werden. In seiner Heimat war er Journalist, allerdings hat das dann doch nicht so viel mit Detektivarbeit zu tun wie er dachte. Schwedisch hat er sich mit Hilfe von TV und Astrid-Lindgren-Büchern selbst beigebracht, stolpert aber trotzdem über so manchen ihm unbekannten Ausdruck. Seine fehlende Erfahrung als Detektiv kompensiert er mit allerhand guten Einfällen, dabei hat er die Schweden als Volk deutlich besser verstanden als sie vermutlich ihn. So kommt es bei aller Trostlosigkeit immer wieder zu Momenten, in denen trockener Humor die Stimmung hebt, etwa wenn Kouplan in dem Versuch, möglichst schwedisch zu wirken, seinen Kebab ohne Zwiebeln bestellt, obwohl er am liebsten die doppelte Portion davon hätte. Er gibt einfach niemals auf und das macht ihn so sympathisch, dass zumindest ich gern mehr von ihm lesen möchte (Die schwedische Internetseite der Autorin macht auch Hoffnung darauf).  

Pernilla hingegen wirkt von Anfang an etwas seltsam, ihr Verhältnis zu ihrer Tochter zumindest ungewöhnlich, dennoch gelingt es Sara Lövestam, sie sympathisch wirken zu lassen. Das Verhältnis zwischen ihr und Kouplan ist von behutsamer Annäherung geprägt, etwa wenn sie für ihn kocht und extra Fleischbällchen aus Hühnerfleisch für ihn einkauft.

Gerade die Figurenzeichnung ist es, die diesen Krimi zu deutlich mehr macht, der sensible und trotzdem humorvolle Umgang mit allen Unterschieden zwischen den Protagonisten. Selten wurde ein Fall so behutsam aufgeklärt, die Wahrheit so sensibel enthüllt. Wunderbar!


Aufmachung des Buches
Das Taschenbuch zeigt ein für einen Krimi recht ungewöhnliches Bild, vor einem abstrakten Hintergrund sieht man lediglich die Silhouetten einer Frau und eines kleinen Mädchens, das Ganze in Beige-, Rot- und Blautönen. Innen gibt es nach einem sehr kurzen Prolog 43 nummerierte Kapitel.


Fazit
Ein Krimi-Debüt, das völlig zu Recht mit dem schwedischen Krimipreis ausgezeichnet wurde. Wundervoll geschrieben, mit einer höchst ungewöhnlichen, unvorhersehbaren Geschichte, mein erstes Highlight dieses Büchersommers!


5 Sterne


Hinweise
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