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"Richard hat gesagt, ich bräuchte drei Jahre. Das hat er einfach so gesagt, stell dir vor. Du brauchst drei Jahre, dann wird es bessergehen. Und stimmt das, sagte Alice.
Keine Ahnung, sagte Margaret. Jetzt ist ein Jahr um, erst ein Jahr, ich bin weit entfernt davon zu verstehen, wie er das gemeint hat. Drei Jahre."
Wenn jemand fort ist, kann man nicht mehr sagen, wie er ausgesehen hat, wie er gesprochen, geflucht, gelächelt hat, wie er durchs Leben gegangen ist. Auch wenn man ihn plötzlich zu sehen glaubt, auf der Rolltreppe, im letzten Wagen einer abfahrenden Straßenbahn, an der Ampel auf der anderen Straßenseite.

Alice ist die Heldin dieser fünf Geschichten, alle erzählen von ihr - und davon, wie das Leben ist und das Lieben, wenn Menschen nicht mehr da sind. Dinge bleiben zurück, Bücher, Briefe, Bilder, und ab und zu täuscht man sich in einem Gesicht. Lebenswege kreuzen sich, ändern die Richtung und werden unwiederbringlich auseinandergeführt.

 

  Autor: Judith Hermann
Verlag: S. Fischer Verlag
Erschienen: 2009
ISBN: 978-3-10-033182-3
Seitenzahl: 189 Seiten 


Die Idee, Stil und Sprache
Menschen kommen und gehen. Das weiß auch Alice. Und dieses Buch handelt vom Gehen. In allen fünf Erzählungen ist es Alice, die Menschen beim Sterben beobachtet und begleitet, und die selbst zurückbleibt. Alice, wie sie versucht, die Erinnerung an diese Wegbegleiter zu wahren, ohne dabei verrückt zu werden. Dabei können alle fünf Erzählungen für sich gelesen werden, denn diese Geschichten haben nur eine Querverbindung, Alice. Ob es sich um Erinnerungen an ihren Onkel handelt oder den Verlust des eigenen Partners.
Judith Hermanns Stil ist sehr kraft- und ausdrucksvoll und dennoch bleiben alle fünf Erzählungen im Grundtenor ruhig. Dieses Buch ist keine spannungsgeladene Story, sondern eine stille Betrachtung des Lebens und der Zeit des Abschieds. Diese ruhige Grundstimmung macht gerade den Reiz dieses Buches aus. Dieses Buch zu lesen, bedeutet sich hineinwagen und sich einlassen auf die Traurigkeit, die der Tod zwangsläufig mit sich bringt. Hermann gelingt es fabelhaft, diese Stimmung literarisch ansprechend vor dem Auge des Lesers heraufzubeschwören. Ja, dieses Buch ist traurig und doch tröstend zugleich, denn es gibt immer einen Weg und ein danach.
Hermanns Sprache ist klar und von monumentaler emotionaler Kraft. Die Autorin hat ein wunderbares Gefühl für den richtigen Rhythmus, den einzig richtigen Satz. Nicht umsonst wurde Hermann zugeschrieben, der Sound einer neuen Generation der deutschen Literatur zu sein. Besonders sprachlich ist dieses Buch der Autorin ein Erlebnis, wie auch die vorangegangenen.


Figuren
Das Buch "Alice" lebt von seinen Figuren. Nicht die Handlung steht im Vordergrund, sondern die Menschen, ihre Ängste und Wünsche. Sehr gefühlvoll zeichnet die Autorin ihre Protagonisten, allen voran Alice. Dabei kommt es ihr nicht darauf an, exakt das Leben dieser Figuren nachzuzeichnen, als vielmehr ihr Innerstes nach außen zu kehren. Es kommt nicht darauf an, wie jemand mit Nachnamen heißt oder was er arbeitet, sondern was er denkt und fühlt. Das lässt keinen Leser kalt.
Die Vorenthaltung von Informationen über ihre Figuren wurde der Autorin in manchen Kritiken ihrer früheren Erzählungen angekreidet. Ich halte dies für berechtigt, denn es schadet den Erzählungen keineswegs. Im Gegenteil, Details würden eher stören. Daher halte ich auch die Ausarbeitung der Figuren für sehr gut umgesetzt.


Aufmachung des Buches
Diese gebundene Ausgabe steht ganz im Zeichen des Mondes, der sein fahles Licht auf den Einband streut. Die Farbe des Buches ist dementsprechend fahlblau, mit einem Horizont in dunkelblau am unteren Ende. Der Name der Autorin erstreckt sich in weißen Großbuchstaben etwa in der Mitte des Covers, der Name des Verlages ist in hellem Blau abgedruckt. Der Titel des Buches "Alice" ist in grellem Orange abgesetzt. Diese mutige Farbkombination springt sofort ins Auge und bringt Spannung in das sonst ruhige Gesamtbild.


Fazit
Judith Hermann ist ganz ohne Zweifel eine herausragende Erzählerin. Dieses natürliche Erzähltalent zeigt sich auch hier in ihrem dritten Buch. Während ihr erstes Buch "Sommerhaus, später" eine Sammlung von Kurzgeschichten ist, haben sich in ihrem zweiten Buch "Nichts als Gespenster" die Länge der Geschichten und deren Tiefe ausgeweitet. In diesem dritten Buch verbinden sich die Geschichten rund um die Figur der Alice. Das Thema dieses Buches ist mutig, denn wer liest schon gerne 189 Seiten über den Tod. Und gerade weil dieses Buch ein so unattraktives, schwieriges Thema behandelt, halte ich es für einzigartig. Es ist ein gelungener Erzählband geworden, mit dem Judith Hermann die großen Erwartungen, die man diesem Buch in der Literaturszene entgegengebracht hat, wieder übertroffen hat. Ich gebe 5 Punkte und möchte dieses Buch allen Lesern ans Herz legen, die stimmungsgeladene und emotionale Bücher lieben.


5 Sterne


Hinweise
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