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Aschau, Ende des 18. Jahrhunderts: Marei und Resei arbeiten schon seit Jahren in der Schmiede ihres Vaters. Sie wünschen sich nichts sehnlicher, als den Gesellenbrief für ihre guten Leistungen zu erhalten. Doch einige Bürger aus Aschau wollen nicht, dass die beiden Mädchen einen Beruf ergreifen, der bis dahin den Männern vorbehalten war. Der Bannrichter Florian Grießbeck soll vermitteln und verliebt sich in Resei.
Marei lässt sich auf den Forstgehilfen Georg Pilgrim ein. Als sie schwanger wird, heiraten sie zwar, doch damit fangen die Schwierigkeiten erst an …

 

Die Aschauer 

Autor: Carl Oskar Renner
Verlag: Rosenheimer Verlagshaus
Erschienen: 19.Februar 2014
ISBN: 978-3475542596
Seitenzahl: 336 Seiten


Die Grundidee der Handlung
Der Roman von Carl Oskar Renner stellt eine einzigartige Mischung aus historischem Gesellschaftsroman und Heimatroman dar. Er umfasst eine Zeitspanne von 83 Jahren und ist hauptsächlich angesiedelt im Priental des 18. und 19. Jahrhunderts, einer Region in Bayern nahe des Chiemsees, die über drei Jahrhunderte hinweg von der Eisengewinnung und –verarbeitung geprägt war und früher als das „bayerische Ruhrgebiet“ galt. 

Anhand der bewegten Lebensgeschichten des Geschwisterpaars Marei und Resei - den Stieftöchtern eines Nagelschmieds in Aschau - und ihrer Nachkommen lässt Renner auf unterhaltsame Weise die längst in Vergessenheit geratene Vergangenheit dieser geschichtsträchtigen Region lebendig werden.


Stil und Sprache
Die persönlichen Lebensereignisse der verschiedenen Hauptfiguren sind glaubwürdig in den hervorragend recherchierten historischen Hintergrund eingebettet und eng mit ihm verwoben. Insgesamt geht es eher beschaulich in den unterschiedlichen Episoden zu, doch kommt es bei den vielen zu bewältigenden Widrigkeiten des Lebens, Intrigen und Schicksalsschlägen auch immer wieder zu mitreißenden und unterhaltsamen Momenten. Zwischendurch sind etwas trockenere Passagen mit geschichtlich-politischen Hintergrundinformationen eingeschoben, in denen der Autor wichtige Episoden der deutschen Geschichte wie beispielsweise die Napoleonischen Kriege, die Säkularisation und den Tiroler Bauernaufstand, und ihre Auswirkungen auf die Region beleuchtet.
Renner hat viele interessante und informative historische Begebenheiten am Hofe in München und zum lokalen Adelsgeschlecht der Preysinger-Hohenaschauer sehr kenntnisreich in die Handlung eingebaut, und ihren enormen Einfluss auf das Schicksal der Region und Bevölkerung anschaulich herausgearbeitet. Es lässt sich nur vermuten, dass er hierzu sehr eingehend das umfangreiche Quellenmaterial im einzigartig erhaltenen Hohenaschauer Archiv studiert hat.

Hervorragend ist es Renner gelungen, die Lebensumstände aller Schichten der damaligen Zeit authentisch, lebendig und ohne Beschönigungen darzustellen. Ein unnachahmlich treffendes Lokalkolorit entsteht auch durch die vereinzelt in die wörtliche Rede eingestreuten Ausdrücke aus der bayerischen Mundart und die humorvolle, teilweise ländlich derbe Ausdrucksweise. Einige unverständliche Ausdrücke können im angehängten Glossar nachgeschlagen werden. Die rein erzählerischen Passagen bleiben weitgehend frei von den Dialektausdrücken und sind gut verständlich, in einer etwas altertümlich anmutenden Sprache verfasst, die jedoch zugleich für eine besonders authentische Atmosphäre sorgt.

Erzählt wird die Geschichte aus einer meist neutralen Perspektive des auktorialen Erzählers, zwischendurch schaltet sich der Autor als gewissenhafter Chronist aber auch mit einigen kommentierenden Einschüben ein. Renner bedient sich einer sehr neutralen und rein chronologischen Erzählweise ohne Rückblicke oder Perspektivwechsel. Seine äußerst konventionelle Erzähltechnik wirkt etwas altmodisch, was darin begründet liegen mag, dass der vorliegende Roman bereits erstmals im Jahre 1986 erschienen ist.
Obwohl man die Figuren fast ausschließlich in einem beobachtenden Abstand erlebt, und einem nur sehr wenige Charaktere ans Herz wachsen, begleitet man sie gerne durch die bewegten Zeiten jener längst vergangenen Epoche und lässt sich vom ganz eigenen Charme des Romans einfangen.


Figuren
Aufgrund der großen Zeitspanne, die der Roman abdeckt, taucht eine Vielzahl von Figuren auf, von denen viele zwar sehr glaubhaft aber teilweise recht blass ausgearbeitet sind und lediglich am Rande eine Rolle spielen. Zudem begegnet man in diesem Roman vielen historischen Persönlichkeiten. So lernt der Leser etliche gegensätzliche Charaktere aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten jener Epoche kennen, deren jeweilige Lebensumstände der Autor sehr glaubhaft und lebensnah zu schildern weiß. Der Leser erhält einen unterhaltsamen und zugleich aufschlussreichen Einblick in die ärmlichen Verhältnisse der Kleinbauern und Handwerker, die beständigen Einmischungen der Kleriker, die bürgerliche Borniertheit sowie die dekadenten Zustände des Adels.

Durch Renners neutralen Erzählstil bleiben allerdings die Gedanken und Gefühle seiner Figuren weitgehend ausgeblendet. Auf den Leser erscheinen sie eher leblos und ohne wirklichen Tiefgang, wodurch ein Mitfühlen mit ihren Schicksalen deutlich erschwert wird.
Am besten ausgeführt unter den Hauptfiguren sind noch der Bannrichter Dr. Griesbeck - Reseis Ehemann - und später ihr Enkel Erasmus, die allerdings auch mehr durch ihr Verhalten und ihre Äußerungen charakterisiert werden. Dennoch kann man ihren integren, gutmütigen Charakter erahnen und ihre Beweggründe nachvollziehen, was sie zusammen mit ihrer gewissen Schlitzohrigkeit sympathisch und zu den eigentlich tragenden Figuren des Romans macht.


Aufmachung des Buches
Sehr gelungen ist die geschmackvolle Aufmachung und hochwertige Verarbeitung des gebundenen Buchs. Auf dem Schutzumschlag findet sich das Portrait eines jungen Mädchens vor dunkelblauem Hintergrund, das stilistisch hervorragend zum Milieu und der Epoche des Romans passt und vom bekannten Historienmaler Franz von Defregger (1835 – 1921) stammt. 

32 Kapitel führen durch den Roman, dem ein Inhaltsverzeichnis vorangestellt ist. Ein Glossar mit den wichtigsten ungebräuchlichen Begriffen und wissenswerten Anmerkungen findet sich im Anhang. Bedauerlicher Weise fehlt ein erläuterndes Nachwort zu den umfangreichen Recherchen und Quellen des Autors. Insbesondere wären einige Anmerkungen Renners interessant gewesen, wie viel Fiktives und welche realen historischen Begebenheiten in den Roman eingeflossen sind. Auch ein Personenverzeichnis wäre zum Überblick über die vielen historischen Persönlichkeiten sehr hilfreich gewesen.
Als kleine Ergänzung zum Autorenportrait sei noch angemerkt, dass der 1908 geborene Carl Oskar Renner im Jahr 1998 verstorben ist.


Fazit
Wer über die fehlende Charakterstudie der Figuren und den eher unmodern anmutenden Erzählstil hinwegsehen kann, erhält in diesem historischen Roman eine sehr lebendige und lehrreiche Geschichtsstunde über eine geschichtsträchtige Region in Bayern und eine längst in Vergessenheit geratene Epoche.

Eine äußerst informative, lohnenswerte Lektüre für historisch und insbesondere an der Region des Prientals interessierte Leser.


4 Sterne


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