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Tanja Meurer


Anfang des Jahres ist Tanja Meurers Erstling bei bookshouse erschienen. Die Dokumentationsassistentin aus Wiesbaden ist ein wahrer Recherchefreak und liebt es, Genres miteinander zu mischen.


Hallo Tanja! Schön, dass du Zeit hast, um ein wenig zu plaudern … wobei das Wetter ja auch nicht gerade nach draußen lockt. Oder bist du eher ein Regen- als ein Sonnentyp?

Weder das eine, noch das andere, fürchte ich. Obwohl, recht überlegt ist Regen angenehmer. Da hat man immer die Chance, sich mit einem Kaffee in die Ecke zu verkrümeln und die Zeit zu genießen, von faulen Katzen angekuschelt zu werden, zu schreiben, zu zeichnen oder Filme zu schauen [lacht]
Scherz beiseite, Sonne ist toll. Dann habe ich nur selten die Nerven, konzentriert zu Hause zu arbeiten, allein weil die Stadt und somit die Eisdielen locken. Man, klinge ich verfressen …!


Halb so schlimm [lacht] Aber Stichwort Stadt: Dein Debutroman ‚Glasseelen‘ entführt den Leser nach Berlin. Es geht um einen wahnsinnigen Mörder, die Unterwelt der Stadt sowie rätselhafte Menschen. Wie bist du auf die Idee zur Geschichte gekommen?

Das geht auf meine einjährige Zusammenarbeit mit einer Agentur zurück. Die Vorgabe für ein neues Buch lautete: Berlin, Berliner Unterwelten und Museumsinsel. Nach wildem Bücher wälzen, googeln und vielen abgelehnten Ideen saß ich ziemlich ratlos zwischen Büchern, Ordnern und Laptop. Schließlich blätterte ich durch den „Berliner Bilderbogen“, der schon seit einer Ewigkeit in meiner Vitrine verstaubte. Da kam ich durch eine Erzählung über E.T.A. Hoffmann auf die Idee. Als Kind liebte ich die Geschichte „Der Sandmann“ besonders. Das wurde letztlich meine Grundlage.


Was verbindet dich sonst mit Berlin? Oder hätte 'Glasseelen' auch in einer anderen Stadt spielen können?

Eigentlich nur der Auftrag damals. Ohne den hätte ich die Berliner Unterwelten nie kennen gelernt. Allerdings muss ich sagen: Sie sind mehr als empfehlenswert. Der Berliner Unterwelten e.V. bietet hervorragende Führungen an und man lernt die Stadt auf eine ganz andere Weise kennen. Leider sind die Führungen, die ich 2010 machen wollte, nicht mehr im Programm. Damals gab es eine tolles Angebot: Man konnte die Geisterbahnhöfe - unfertige und stillgelegte Bahnhöfe, die nur schwach beleuchtet wurden - besuchen.
Wenn mir im Vorfeld eine Wahl geblieben wäre, hätte ich natürlich Wiesbaden genommen (ich bin Ur-Wiesbadenerin). Da kenne ich mich sehr gut aus, kann einfach recherchieren und habe zusätzlich Berge von Büchern dazu.


Im ersten Teil beschreibst du ziemlich bald eine Szene, in der von blutigen Augäpfeln die Rede ist. Bist du eine Frau für Horrordetails oder hat es dich schon ein wenig geschüttelt, so etwas zu schreiben?

Horrordetails trifft es nicht ganz, auch wenn ich seit meiner Kindheit Horror liebe (nur nicht zwingend Splatter). Insgesamt bin ich allerdings ein Detail-Fanatiker und verliere mich gern in Recherche.
Geschüttelt hat es mich bei dieser Szene nicht wirklich. Das ist eine ganz eigenartige Sache: In der Sekunde habe ich mich ungefähr wie Camilla gefühlt. Betäubt. Allerdings darf man mir keine OPs oder Ähnliches im Fernsehen zeigen. Dabei kippe ich wie ein Stein weg (weshalb Filme wie Saw gar nichts für mich sind). Schräg, nicht?


Ok, reden wir nicht mehr über Blut. ‚Glasseelen‘ bietet einige Genreeinflüsse: Krimi, Thriller und auch einen Schuss Fantasy. War es schwer, den Roman unterzubringen, weil er sich nicht ausschließlich in eine Schublade packen lässt?

Das ist bei meinen Büchern generell ein Problem. Sie spielen in mehreren Genres. Die Sachen an den Mann/die Frau zu bringen ist nicht nur schwer, sondern fast unmöglich. Mit anderen Werken (Steampunk, Steamfantasy, beide mit Krimi- und Horroreinschlägen, beide mit dem eigenen Geschlecht zugetanen Protagonisten) habe ich bereits eine wahre Odyssee hinter mir. Aber das wird schon noch.


Was inspiriert dich, um die ‚Glasseelen‘-Stimmung zu erzeugen, die manche Leser als ‚gruselig‘ beschreiben? Versetzt du dich etwa mit entsprechender Musik und zugezogenen Vorhängen in Stimmung?

Glasseelen habe ich im Hochsommer bei strahlendem Sonnenschein geschrieben. Im Hintergrund lief permanent Chaostar und Mortem Vlad Art. Danach bist du nicht mehr nur in düsterer Stimmung, sondern der Tag wird erst gar nicht mehr hell! [lacht]
Scherz beiseite. Gerade Chaostar hat die Unterwelten-Szenen stark untermalt. Ganz besonders der Song 'Lamentation', dank der Bebilderung im Video. Ich liebe diese Band.


Welcher Charakter aus deinem Buch liegt dir besonders am Herzen und warum?

Nathanael. Er ist mein absoluter Favorit, der vermeintlich Böse, der … anders ist. Letztlich ist die Vorstellung von Gut und Böse nicht linear und objektiv. Schlüpfe in die Haut eines Anderen und dein Blickpunkt verschiebt sich. Das ist auch der relevante Punkt im Buch. Für einige Menschen mag Nathanael zunächst als der Böse in Erscheinung treten, aber er ist es nicht.


Dein Roman ist der Auftakt der ‚Schattengrenzen‘-Reihe. Kannst du uns verraten, was noch auf die Leser zukommen wird?

Mehr Unheimliches!
Im zweiten Roman ist nicht mehr Camilla die Hauptfigur, sondern ihr Verwandter Oliver. Aber Camilla ist auch weiterhin mit von der Partie und unterstützt ihn. Der Fokus in den Büchern wird zwischen Camilla und Oliver wechseln. Sie besitzt vollkommen andere Fähigkeiten als er. Trotz allem haben beide einen starken Hang zum Übersinnlichen (auch wenn er anfangs davon nichts wissen will). Zeitweise treten beide auch zugunsten anderer Charaktere ein wenig in den Hintergrund. Rechnet also mit unheimlichen Episoden und fiebert mit Camilla, Christoph, Oliver, Michael, Christian, Daniel und Jamal mit.


Wie arbeitest du all diese Charaktere aus, ehe du mit dem Schreiben beginnst? Du zeichnest ja auch. Skizzierst du sie für dich und haust dann erst in die Tasten?

Meistens zeichne ich sie erst irgendwann zwischendurch, je nach Zeit und Lust. Meine Vorarbeiten sehen eher so aus, dass ich mich durch Google und Wikipedia lese, Unmengen an Material ausdrucke, damit ich alles immer in Reichweite habe (und es meist sogar auf Anhieb finde). Meine Lesezeichenleiste bei Google Chrome ist ein eigenes Archiv. Meistens verlasse ich mich trotzdem eher auf die direkte Suche. Heute kann ich mir fast nicht mehr vorstellen, ohne Internet und diese lieb gewonnene Suchmaschine zu arbeiten. Vor Jahren hieß es dagegen: Ab in die Bücherei. Ich muss auch nicht mehr zwingend durch die Gegend ziehen und Fotos machen. Das war bis 2005 meine übliche Vorarbeit.
Wenn ich alles zusammengetragen habe, heißt es nur noch die letzten Logiklücken (notfalls beim Schreiben) auszubügeln.


Vor ‚Glasseelen‘ hast du bereits an einigen Anthologien mitgewirkt. Gibt es Genres, die dir besonders gefallen oder andere, in denen du niemals schreiben würdest?

Horror, Mystery, Thriller, Krimi, Steampunk, Fantasy, Steamfntasy, Gay ist alles kein Problem für mich. Bei Steampunk, Krimi, Mystery, Thriller und Horror mag ich zudem reale und geschichtliche Hintergründe, darin kann ich mich vollkommen verlieren, allein weil die Vergangenheit schon so wahnsinnig viele Ansatzpunkte liefert. Was gar nicht für mich geht, sind Liebesromane, ganz besonders im Bereich Alpen, Ärzte und ähnlichen Dingen. Ich kann mich für fast alles erwärmen, aber sobald es mich an die Schwarzwaldklinik erinnert, renne ich. [lacht]


Es gibt Autoren, die rennen angeblich, wenn sie das weiße Blatt sehen und müssen sich an die Tasten quälen. Andere schreiben eine bestimmte Anzahl Seiten pro Tag oder haben feste Schreibzeiten. Zu welcher Kategorie gehörst du?

So weit es die Zeit zulässt, schreibe ich. Wenn ich kann, versuche ich über zehn Seiten zu kommen, wenn nicht, ist es auch kein Beinbruch. Letztlich habe ich einen regulären Job, der immer noch vorgeht. Das bedingt, dass ich keine festen Schreibzeiten haben kann.
Selbst wenn ich Urlaub habe, unterbreche ich das Schreiben immer mal wieder, wenn die Waschmaschine fertig ist, die Meeries quieken und versorgt werden wollen oder eine der Katzen auf meinen Händen hockt und ich nicht tippen kann.
Das Problem mit dem weiße Blatt hatte ich bisher noch nie – darüber bin ich ziemlich dankbar.


Gibt es irgendwas in deiner Vergangenheit, das du zu Papier gebracht hast und am liebsten für immer von der Erdoberfläche verschwinden lassen würdest?

Von dem alten Krempel existieren nur handschriftliche Verbrechen, davon aber ziemlich viele. So lang du nicht zu mir nach Hause kommst und es einscannst, wird die Öffentlichkeit definitiv damit verschont bleiben.
Klar habe ich Sachen, die ich heute schrecklicher denn je finde. Allein die Bücher aus dem vergangenen Jahr entsprechen schon nicht mehr meinem jetzigen Stil. Verstecken kann ich sie aber schwer, von daher stehe ich zu meinen Verbrechen.


Mit welcher anderer Autorin/welchem anderen Autor würdest du gern mal ein Buch zusammen schreiben?

Neil Gaiman. Er ist einfach ungeschlagen in seiner Komplexität und seinen fantastischen – teils auf Mythen basierenden – Welten. Er ist das, was ich zu erreichen versuche. Ansonsten bin ich ein unheimlich großer Fan von Klaus N. Fricks „Peter Pank“-Reihe. Sein Stil und die Nachvollziehbarkeit seines Punks Peter sind unglaublich.
Wahrscheinlich ist der Wunsch aber einfach nur auf die Bewunderung für die beiden Autoren zurückzuführen.


Mit welcher Figur aus welchem Roman würdest du gern einmal über was diskutieren?

Verdammt gute Frage … Als Kind hätte ich sofort gesagt: Jonathan (Die Brüder Löwenherz). Seine Sicht auf den Tod und seine Erläuterungen zu der Welt, die danach kommt, fand ich unheimlich schön – also nicht zu sterben, sondern in die mittelalterliche Welt Nangijala einzugehen.
Heute bin ich in vielen Fällen ein Fan von Sachbüchern, Bereich Kriminalhistorik. Auch wenn es jetzt vollkommen abgedreht klingt: Ich hätte liebend gern mit dem Serienmörder Friedrich Schumann gesprochen. Durch das kriminalhistorische Sachbuch 'Carl Grossmann und Friedrich Schumann, zwei Serienmörder in den zwanziger Jahren' bin ich auf ihn aufmerksam geworden.
Ein interessanter Mann, schwer zu begreifen und doch nachvollziehbar, fast nicht zu erklären. In diesem Zug möchte ich den jüdischen Anwalt Dr. Frey, anführen, der ihn und Grossmann gerichtlich verteidigte. Ein sehr faszinierender, großer Mann.
Diese Faszination rührt von meinem Berufswunsch her, zur Kriminalpolizei zu gehen.


Okay, dann folgt nun die berüchtigte Jobfrage: Wo siehst du dich in zehn Jahren?

Realistisch gesehen nirgends anders als dort, wo ich gerade bin. Ich denke nicht, dass ich mit meiner Art von Büchern irgendwann von einem Publikumsverlag publiziert werde. Das ist jetzt kein gewolltes Tiefstapeln, sondern einfach naheliegend. Ich schreibe eher Underground-Stories, habe schwule Hauptcharaktere, mische Genre und fühle mich dabei pudelwohl. [lacht]
Alles andere würde bedeuten, dass ich Auftragsschreiberei betreibe. Das ist etwas Tolles, wenn man seine eigenen Ideen verwirklichen kann, aber wenn man nur noch an der Leine gehen darf, ist das nichts für mich.


Das war es auch schon! Vielen Dank für deine Zeit. Geht es nun wieder ans Schreiben?

Anhand der Zeit (21:38 Uhr) muss ich eher Tiere füttern, duschen, bügeln und zeichnen [lacht]
Aber ich habe vorhin ziemlich lang geschrieben. Vielen lieben Dank für das tolle Interview!

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