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Nino Sorokin ist dabei, als der Unfall geschieht. Seine Eltern sterben, ihm bleibt eine besondere Gabe: Er sieht den Tod eines jeden ­Menschen voraus. Auch den eigenen. Von nun an ist er besessen von der Frage, wie man das Schicksal überlisten kann. Er weiß, er wird nur 24 Jahre alt – und sein Geburtstag rückt immer näher. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Ninos Suche führt ihn zu einem geheimen Zirkel von Mentoren, die Seelen sammeln. Und er begeht den größten Frevel, den der Zirkel kennt: Er verliebt sich in eine der Seelenlosen. In die geheimnisvolle Noir, die bereits auf der Schwelle zum Jenseits steht ...

 

Noir 

Autor: Jenny-Mai Nuyen
Verlag: Rowohlt Polaris
Erschienen: 10/2012
ISBN: 9783862520282
Seitenzahl: 384 Seiten


Die Grundidee der Handlung
Nino Sorokin ist Vollwaise und lebt seit dem tödlichen Unfall seiner Eltern bei seiner älteren Schwester Katjuscha. Er weiß genau, er wird mit 24 sterben, genauso wie er weiß, woran und wann viele andere Menschen sterben werden, denen er begegnet. Immer auf der Suche nach dem ultimativen Kick, der neuen Grenzerfahrung, durchstreift er Berlins Nachtleben. Seinen Alltag besteht er mehr schlecht als recht, sein Kunststudium hat er hingeschmissen, nichts hat einen Wert für ihn, schließlich ist sein Leben bald vorbei. Doch dann trifft er Noir, ein Wesen, nicht Frau, nicht Mensch, und doch von magischer Anziehungskraft auf ihn. Und plötzlich erscheint Nino sein Leben von ungeheurer Wichtigkeit ...

Jenny-Mai Nuyens siebter Roman richtet sich an erwachsene Leser und findet in der realen Welt mit fantastischen Elementen statt. Die Geschichte ist unerwartet, verwirrt, spielt mit Ur-Ängsten und existentialistischen Gedanken und führt einen auf eine spannende Reise, wenn man sich darauf einlässt.


Stil und Sprache
Jenny-Mai Nuyen hat eine ganz besondere Gabe, die sich schon in ihrem ersten Roman zeigte und auch hier in Noir zum Tragen kommt: mit exquisit ausgewählten Worten, die sich zu perfekt geformten Sätzen finden, malt sie Kulissen, Figuren, Stimmungen und Gedanken. Viele Passagen im Buch haben einen ganz besonderen Zauber, die einen automatisch inne halten lassen. "Wirf deine Gedanken aus wie eine Angel, weit in die Vergangenheit. Wie silbrige Fische werden Erinnerungen danach schnappen, in dem Geschillere musst du den einen Zeitpunkt finden, wo deine Geschichte beginnt. Als du noch Er warst. Bevor Noir kam und mit ihr das Träumen." (Seite 7)

Erzählt wird im Wechsel in der Vergangenheitsform aus der dritten Person und in der Gegenwartsform mit direkter Anrede an die Hauptfigur Nino und kurzen Passagen in der Ich-Form, was durch die Splitterabbildung und einen Schriftwechsel gekennzeichnet ist. Die Einschübe aus der Gegenwart sind zu Beginn des Buches sehr mysteriös und stellenweise verwirrend, da die rückblickenden Kapitel erst ablaufen müssen, um zur Gegenwart zu führen und schlussendlich zu erklären, wie es zum aktuellen Stand gekommen ist. "... meine Geliebte ist Wasser. Sie ist ein geschmolzener Schneestern auf meiner Zunge, ein Salztropfen in meinem Auge, ein Strom durch mein Herz. Sie ist Wasser, das mich umgibt und trennt vom Rest der Welt. Sie ist Wasser, das geweint wurde, und Wasser, das Feuer gelöscht hat, und Wasser, in dem zehn Milliarden Menschen ertrunken sind, und Wasser, in dem die Kommenden heranreifen, bevor sie geboren werden. Aber niemand sieht sie, und ich muss verhindern, dass sie aufhört zu fließen und verdampft, denn dann sterbe ich wieder und diesmal vielleicht für immer." (Seite 44/45). Dadurch wird eine gewisse Spannung aufgebaut, da man unbedingt erfahren möchte, was hinter dem Ganzen steckt und welche Auflösung es gibt. Wendepunkte bilden die Momente, als Nino und Noir zusammenfinden und später, als die Handlung in der Gegenwart ankommt.


Figuren
Die Hauptfigur ist Nino, der schon lange weiß, wann er sterben wird. Inzwischen kann es sich nur noch um Wochen oder Tage handeln, denn das magische Alter 24 ist erreicht. Die Angst zu sterben lähmt ihn, genauso wie er zuvor nicht still stehen konnte, um seine Grenzen auszutesten. Sein Studium hat er abgebrochen, seinen Job im Kunstbedarfsladen der mürrischen und profitorientierten Pegelowa macht er mehr schlecht als recht, und Freundschaften gehen nicht über Weggehbekanntschaften hinaus, Liebschaften sind selten und oberflächlich. Bis er die geheimnisvolle Noir trifft, die in ihm etwas auslöst, ein absolutes Zugehörigkeitsgefühl und den Wunsch nach Leben. Die einzig wichtige Person in Ninos Leben war bislang seine Schwester Katjuscha, bei der er aufgewachsen ist. Die etwas ältere Katjuscha musste schon in jungen Jahren die Verantwortung für ihren kleinen Bruder übernehmen und verzweifelt fast an seiner destruktiven Einstellung zum Leben. Sie selbst versucht gerade, ihre Beziehung zu ihrer großen Liebe Simone wieder zu kitten, merkt aber, wie Nino immer weiter abrutscht.

Den Gegenpart zu Nino und Noir bildet der undurchsichtige, oftmals diabolisch wirkende Monsieur Samedi, bei dem Noir lebt, und der ein zweifelhaftes Interesse an Nino und seinen übersinnlichen Fähigkeiten hat, die sich in spiritistischen Sitzungen offenbaren, die der neueste Kick in der Underground-Szene sind. Auch Ninos Bekannte, der selbstbewusste Philip und die leicht naive Julia, schätzen sein Talent, das sie gern in Kombination mit der grenzerweiternden Droge STYX nutzen. Alle Figuren sind lange Zeit nicht einzuschätzen, wobei der Schwerpunkt klar auf Nino, Noir und Monsieur Samedi liegt, doch erst gegen Ende offenbaren sich die Zusammenhänge.


Aufmachung des Buches
Die Klappenbroschur, eine edle Form des Taschenbuchs mit Einklappern, ist auf Titel und Rücken hell gehalten, während die Rückseite das dunkle Negativ bildet. Zentral ist eine Zersplitterung zu sehen, die durch eine lackierte Prägung betont wird. Das Motiv wird auf dem Rücken und im Innern des Buches wiederholt, wo es den Szenen vorangestellt ist, die im "Jetzt" spielen. Die Gestaltung ist passend zur Zielgruppe deutlich erwachsener als die vorherigen Werke der Autorin, einzig der verspielte Titelschriftzug Noir spielt auf die fantastische Note an. Insgesamt macht die Optik neugierig, da sie nicht zu viel verrät, und passt wunderbar zum Inhalt.


Fazit
Wer die fantastischen Geschichten von Jenny-Mai Nuyen bislang liebte, wird mit dieser vielleicht seine Schwierigkeiten haben. Denn Noir verlässt ausgetretene Pfade und betritt eine neue, erwachsene Welt, die sich nicht scheut, existentialistischen und philosophischen Grundfragen auf den Grund zu gehen, umgeben von einem Hauch Magie und Esoterik. Vor allem Nuyens Ausnahmetalent, mit Worten wahre Kunstwerke zu formen, macht dieses Buch zu einem Erlebnis.

4 Sterne


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