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"Alles war anders in diesem Sommer. Die Menschen atmen durch, trotz der Hitze, denn der Krieg war aus. Uns aber machte die Sonne verrückt. Wir mit den brennenden Indianerherzen, wir mit den Erinnerungen an Bombennächte und gigantische Brände, wir wollten weg. Wir wollten eintauchen in die geheimnisvollen Dschungel, in die sonnendurchglühten Steppen, in die schweigenden Regenwälder. Weg, nur weg! Ausbrechen. Irgendwohin."
Ein beeindruckendes Zeitzeugnis – realistisch und anrührend komisch. 



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Autor: Jo Pestum
Verlag: Ravensburger Buchverlag
Erschienen: 1. Juni 2006
ISBN: 978-3-473-58244-1
Seitenzahl: 192 Seiten

 

Die Grundidee der Handlung
Im Vorwort erzählt der Autor, dass sich die Geschichte so oder so ähnlich im Sommer des Jahres 1946 zugetragen hat. Eigenes Erleben und Erfundenes mischen sich, die Grenzen sind fließend. Die handelnden Personen kannte er damals alle. In seiner "erfundenen Biographie" möchte der Autor seine Jugend, wie er und seine Freunde damals lebten, dachten und träumten, den heutigen Lesern nahebringen. Und das gelingt ihm auf unaufdringliche Weise sehr gut. Was allerdings an den Abenteuern der "Schwarzfüße", wie sich er und seine Freunde nennen, nun wahr ist oder nicht, das findet man nicht heraus. Es könnte aber alles so gewesen sein: die Konfrontation mit den Ulmenhofbanditen, die Mutproben, wie sich zwei der Freunde um die X-Bein-Gremme kloppen. Das Ende, das er für seine Erzählung wählt, hat mich überrascht, passt aber zu dem kleinen Rückblick in Wehmut, den er sich im letzten Kapitel gestattet.


Stil und Sprache

Jo Pestum schreibt eingängig, aber nicht zu einfach. Er mutet seinen Lesern sogar Sätze über mehrere Zeilen zu. Dennoch lässt sich die Geschichte, die aus der Sicht des Ich-Erzählers Schorsch erzählt wird, sehr gut lesen. Und spannend ist sie allemal. Nicht nur, weil die Jungs Abenteuer erleben, die heute gar nicht mehr möglich sind – in den Trümmern nach Wertgegenständen suchen und dabei Stollen graben – sondern, weil der Autor ein gutes Gespür dafür hat, wie man Spannung aufbaut und hält. Selbst die kleinen Alltagsfreuden, wie Baden in der Ruhr, oder das genaue Gegenteil, nämlich das öde stundenlange Schlangestehen, vermag er bildhaft darzustellen.
In den Text eingestreut sind deutsche Nachkriegswirklichkeiten; die Aufbaumentalität, die Hirarchie der Schieber, die ehemaligen Nazis, die wieder Fuß zu fassen beginnen und dann noch die Kriegsheimkehrer und Traumatisierten, die all die Bombennächte und Verluste nicht verkraftet haben - Kritik und Verstehen halten sich die Waage, ein nicht ganz einfacher, aber gelungener Balanceakt.

Die Dialoge sind treffend und die Sprache ist zumTeil ordinär. Ruhrpottslang eben. Alles andere wäre aber nicht passend und würde der Geschichte ihren Reiz nehmen. Sanft wird diese Ausdrucksweise aber auch vom Autor (mittels der Figur des Nardo) kritisiert.


Figuren

Das Personal dieses Buches ist bis in die Nebenrollen hinein gut ausgearbeitet und wirkt authentisch - nicht nur die, die der Autor schon im Vorwort als tatsächlich lebende Personen benennt. Die Jungs haben ihren jeweiligen Charakter und sie träumen alle den Traum vom Neuanfang in einer anderen fernen Welt, die es so  gar nicht gibt, etwas, das am Schluss jeder für sich auch erkennt. Die Erwachsenen sind keine bösen Monster, wie sie oft in Jugendromanen erscheinen, sondern einfach nur menschlich.
Wichtig als Kommentator ist der "Zittermann", den die Jungs als Autorität anerkennen und den sie fragen, wenn sie verschiedene Dinge nicht verstehen. Seine Anworten sind aber eher philosophischer Natur, so dass sie hinterher oft nicht schlauer geworden sind. Nachdenklich machen sie dagegen den Erzähler Schorsch - und die Leser hoffentlich auch.


Aufmachung des Buches
Das Cover des handlichen Taschenbuches macht neugierig und verweist gleichzeitig auf die erzählte Zeit. Das schwarz-weiß-Foto zeigt Kinder, die als Zuschauer ein Radrennen in einer Trümmerlandschaft verfolgen. Die Hemden der Rennradler sind nachkoloriert und verleihen dem Foto dadurch eine gewisse Tiefe. Den Titel "Trümmerindianer" finde ich gelungen, denn er vereint die reale und erträumte Welt der Jungen in sich.
Eine Karte im Inneren des Buches erleichtert den Lesern die Orientierung.


Fazit

Ein gelungenes und spannendes Buch über eine Kindheit, die man sich so heute kaum noch vorzustellen vermag.


5 Sterne


Hinweise
Das Buch ist derzeit nicht verfügbar. Es erschien 1990 mit dem Titel " Die Schwarzfüße" bei Thienemann.alt

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