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Einerseits geleitet von der Ästhetik einer futuristisch anmutenden Zweckarchitektur, andererseits von einer kontroversen politischen und ökologischen Diskussion, begann Thorsten Klapsch 2005 durch Deutschland zu reisen, um ein bis dato streng gehütetes Geheimnis des Landes zu dokumentieren. Ziel war, alle am Netz befindlichen deutschen Kernkraftwerke fotografisch zu dokumentieren, um ein genaues Bild von einer Industrie zu erhalten, die seit Mitte des letzten Jahrhunderts als große Verheißung galt. Dieses Vorhaben wollte Klapsch ab 2010 auch hinter den Sperrzäunen fortsetzen und erhielt 2011, noch vor der Nuklearkatastrophe in Fukushima und der darauf folgenden Energiewende in Deutschland, die ersten Genehmigungen zum Betreten der kerntechnischen Einrichtungen und ihrer Kontrollbereiche.
Seitdem hat er unabhängig, umfangreich und systematisch fast alle Aspekte der Kernenergie von der Forschung über die Verwaltung bis zur Zwischen- und Endlagerung und dem Rückbau in einer in ihrem Umfang wohl einzigartigen Arbeit beleuchtet. Dabei hat er alle deutschen Standorte, aber auch skurril wirkende Orte wie das nie in Betrieb gegangene Kraftwerk und nun zu einem Vergnügungs- und Freizeitpark umgestaltete „Wunderland Kalkar“ oder das Simulatorzentrum Essen besucht, um mit einem sachlich-dokumentarischen Blick Raum zum Nachdenken zu schaffen.

 

Atomkraft 

Autor: Thorsten Klapsch; Thilo Hilpert; Susanne Hauser
Fotograf: Thorsten Klapsch
Verlag: Edition Panorama
Erschienen: 2012
ISBN: 978-3-89823-450-4
Seitenzahl: 320 Seiten

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Stil, Bilder- und Textdarstellung
Atomkraftwerke sind Unorte des Alltags, die uns einerseits faszinieren, andererseits mit diffusen Ängsten erfüllen. In diesem hochwertig verarbeiteten Bildband kann der Betrachter nun einen Blick in die „Tabuzone“ werfen. Der Fotograf gewährt hier Einblicke in die Welt der Atomkraft, die uns auf der einen Seite scheinbar langweilige oder banale Motive vor Augen führen, uns andererseits aber auch kalte Schauer über den Rücken jagen, weil wir wissen, dass diese Technologie eigentlich eine Überforderung darstellt.

Die Bilder wirken auf den ersten Blick harmlos – viele von ihnen hätten auch an vielen anderen Orten, in ganz „normalen“ Firmenkantinen etc. fotografiert sein können. Und doch sind sie einzigartige fotografische Dokumente, die uns Orte zeigen, die wir nicht betreten können und die es in Deutschland bald nicht mehr geben wird.
Was ist auf den Bildern zu sehen? Die Fotografien zeigen ausschließlich die Anlagen. Pur und ohne Anzeichen von Leben (es sind keine Arbeiter oder andere Menschen zu sehen – bis auf das Vergnügungsparkfoto). Das lässt das Ganze steril und gespenstisch wirken. Teilweise fühlt man sich an Katastrophen- oder Science-Fiction-Filme erinnert, z.B. wenn Personenschleusen zu sehen sind. Es gibt Fotos von Kontrollräumen, von Atomkraftwerken bei Nacht, von dampfenden Kühltürmen, einer Raucherzone, Dampfleitungen, Notfallduschen, Kantinen, Verwaltungsgebäuden, Ganzkörpermonitoren, Eingangsbereichen, Fitnessräumen, Zugangskontrollen, Brennelement- / und Abklingbecken, Säcken mit radioaktiv kontaminiertem Werkzeug, Lagerstätten für radioaktive Abfälle oder Castortransporten. Aber auch skurrile Kuriositäten wie der Freizeitpark „Wunderland Kalkar“ mit einem Kettenkarussell im Kühlturm.

Die großformatigen Bilder (jeweils eine ganze Seite oder eine Doppelseite) stehen für sich. Ohne Bildunterschriften. Im Anhang findet man die Fotos noch einmal im kleinformatigen Überblick, diesmal unter Angabe des Aufnahmeortes und mit einer kurzen Beschreibung des Gezeigten.


Umsetzung, Verständnis und Zielgruppe
Dem umfangreichen Bildteil geht ein sehr spannender Essay von Thilo Hilpert voran. Es handelt sich um eine fundierte und gut lesbare kulturwissenschaftliche Analyse der modernen Hochtechnologie „Kernkraft“. Was fasziniert uns daran, was stößt uns ab? Warum laufen uns kalte Schauer über den Rücken, wenn wir den aufgeräumten und sterilen Kontrollraum eines Kernkraftwerkes sehen – und warum geschieht das bei der Betrachtung eines ähnlichen Kontrollraumes, in dem allerdings ein Kohlekraftwerk überwacht wird, nicht? Der Essay führt sehr gut zum Thema hin und stimmt nachdenklich.

Auch im Anhang findet sich ein interessanter Textbeitrag von Susanne Hauser. Darin geht es um die Bemühungen einer Task Force, die Anfang der 1980er Jahre dafür sorgen sollte, unsere Nachkommen in 10.000 Jahren vor den Gefahren des Atommülls zu warnen. Wie sollte in der fernen Zukunft verhindert werden, dass unwissentlich Atommüll-Lager geöffnet werden? Auch eine chronologische Auflistung der Entwicklungen und Zwischenfälle im Bereich der friedlichen Atomenergienutzung und eine Deutschlandkarte mit allen Anlagen sind im Anhang zu finden.

Das Buch eignet sich für alle, die einen Blick in die „Tabuzone“ werfen möchten. Menschen, die sich mit dem Thema Atomkraft auseinandersetzen wollen, werden hier interessante Denkanstöße erhalten.


Aufmachung des Buches
Der Bildband ist fest gebunden. Auf dem Cover ist eine Schleuse vor einem Kontrollraum zu sehen. Die Sterilität des Ortes wirkt gespenstisch und man bekommt eine gute Vorstellung davon, was im Buch auf einen zukommt. Auf dem Buchrücken ist der Titel in phosphoreszierenden Buchstaben zu sehen, die nachts auch tatsächlich leuchten.


Fazit
„Atomkraft“ ist ein dokumentarischer Bildband, der auf eindrucksvolle Weise zeigt, wie nüchtern und vielleicht gerade deshalb gespenstisch Bilder sein können. Mich hat dieser Bildband sehr beeindruckt.


alt


Hinweise
Rezension von Sigrid Grün


Dieses Buch kaufen bei: amazon.dealt

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