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Das eigene Leben offen, schonungslos und radikal zum Gegenstand des Schreibens zu machen – dies ist das Konzept, zu dem sich Karl Ove Knausgard in einem furiosen Mammutprojekt entschlossen hat. Radikal ehrlich und mit unglaublicher sprachlicher Kraft nähert er sich in „Sterben“, dem ersten Roman einer sechsbändigen Serie, seinem schwierigen Verhältnis zum Vater, das ihn grundlegend geprägt hat.

 

 

Originaltitel: Min Kamp 1
Autor: Karl Ove Knausgard
Übersetzer: Paul Berf
Verlag: Luchterhand Literaturverlag
Erschienen: 08.03.2011
ISBN: 978-3630873510
Seitenzahl: 576 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
„Min Kamp“ (Mein Kampf) lautet im Original der provokante Titel des Norwegers Karl Ove Knausgard, ein auf sechs Bänden angelegtes Projekt, dessen erster Band nun unter dem Titel „Sterben“ im Luchterhand Verlag vorliegt. Es erzählt die Geschichte des Autors, seinem Kampf, dem unerwarteten Tod des Vaters aus dem Weg zu gehen und sich ihm gleichzeitig zu stellen; die Bedeutung des Todes eines Menschen, zu dem er ein ambivalentes Verhalten hatte. Er berichtet von einem Gefühlschaos aus Hilfslosigkeit, Einsamkeit, Schuld und Empörung.
Im ersten Teil des Romans beschreibt Knausgard ein durchschnittliches, pubertäres Leben, das jeder Teenager auf der ganzen Welt so oder so ähnlich erlebt hat, sei es 1974 oder 2011. Da werden die ersten Gehversuche als werdender Mann, der zu gerne zu oft und zu tief ins Glas schaut, die ersten Flirtversuche und die üblichen Probleme mit Lehrern, aufgezählt. Der übermächtige Vater, der den Alltag seiner Söhne, vom Nichtrennen im Garten bis hin zu dem Brotaufschnitt bestimmt, zieht sich diffizil durch den ganzen Roman.
Im zweiten Teil, der Autor ist inzwischen selbst verheiratet, beginnt die Katharsis. Nach dem Tod reist er zusammen mit seinem Bruder zur Großmutter, in dessen Haus sich der Vater nach der Scheidung zurückgezogen hat. Die Großmutter hat ihn leblos gefunden und ihr Geisteszustand ist seit dem Tod ihres Sohnes Besorgnis erregend. Schon beim ersten Eintritt in das Haus strömt ihnen ein unerträglicher Gestank entgegen. Die Verwahrlosung des Hauses und der Menschen, die in ihm lebten, ist in jedem Winkel spürbar. Der Vater, ein Alkoholiker, nahm von dem Haus Besitz und hinterließ seine äußeren und inneren Spuren. Die beiden Enkel lassen die Großmutter, die verwirrt und offensichtlich auch der Trunksucht verfallen ist, weitgehend alleine, und reinigen gründlich das Haus, während sie über ihr Leben und ihr Verhältnis sowohl zum Vater als auch zueinander nachdenken.


Stil und Sprache
Der Tod als empirische Evidenz, sachlich, trocken und nüchtern, so die Einführung in Knausgards Roman. Dennoch steuert er erbarmungslos auf das unerhörte Ereignis zu, von deren Intensität er gleichsam in Fetzen gerissen wird: in ein Vorher, das trotz aller Verwerfungen noch Hoffnung kennt, in ein Jetzt von erbarmungsloser Hoffnungslosigkeit, und in ein Danach, in dem der Autor selbst Vater zweier Kinder ist und die Ungeduld und Gereiztheit des eigenen Vaters nachvollziehen kann, ohne es sich selbst einzugestehen. Dem Autor war es ein Anliegen, die zentrale Figur seines Lebens in verschiedenen Aspekten ins Bild zu setzen. Leider gelingt es Knausgard nicht, eine erzählerische Intensität zu entwickeln, die der Gefühlswelt seines Ich-Erzählers entspricht. Die Prosa schwächelt an einem gelungenen Balanceakt zwischen literarischer Distanziertheit und unvermittelter Empfindsamkeit, ebenso fehlt die Metamorphose der bedeutsamen Komponenten einer autobiografischen Erfahrung in ein fesselndes Stück Literatur, das auf der Suche nach Erlösung in einen Untergang mündet. Einen Untergang, den er hätte verhindern können? Das ist die Frage, die den Sohn bewegt, so schonungslos, dass sie ihre eigene Logik entfaltet.
Der Versuch, Spannung aus der Verschränkung widerstrebender Gefühle zu erzeugen, schlägt trotz der nachtragenden Liebe des Sohnes an den toten Vater, des Feldzuges der inneren und äußeren Reinigung, all die Bilder, die Knausgard im Kopf herumspuken mögen, fehl. Kein Detail wird ausgelassen, weder sämtliche Markennamen der Putzmittel noch die unappetitlichen Hinterlassenschaften des Vaters. Immer wieder konterkariert seine Detailversessenheit das entstehende Gespür für eine mitreißende Situation.


Figuren
Der Ich-Erzähler zeigt sein großes Repertoire an Freunden und Bekannten, von denen er aber nur so viel preisgibt, um eine ungefähre Charakterisierung zu erkennen. Viele der erwähnten Freunde und Lehrer fühlen sich von Knausgard verunglimpft, infolgedessen schlossen sich einige zusammen und erklärten das Buch zur „Judasliteratur voller Beleidigungen, fehlerhafter Personendarstellungen und Anprangerungen.“


Aufmachung des Buches
Das Buch ist fest gebunden, mit einem Lesebändchen und einem Schutzumschlag versehen. Das Foto wurde vom Autor selbst ausgesucht und stammt aus seiner Privatsammlung.


Fazit
Wer „Alles hat seine Zeit“ gelesen hat, wird von diesem Roman enttäuscht sein. Knausgards sprachliche Mittel und die Motive seines Romans bleiben hinter seiner Virtualität zurück, einzig seine Beobachtungsschärfe zeichnet ihn aus. Der Tonfall ist zwar authentisch und unbefangen, bedauerlicherweise zieht er sich immer wieder während der Reinigung des Hauses in die nostalgisch angehauchten Jugenderinnerungen zurück. Er inszeniert seine eigene Biografie nicht als Entwicklungsroman, sie entwickelt sich aus Endlichkeit des Lebens zu einer scheinbar eigenwilligen Wahrheit. Knausgard beschreibt hier nicht ein überspanntes Verhältnis zu sich und seinem Vater, der Roman scheint eher eine Psychoanalyse zu sein. Eine Therapie, um über sein eigenes Leben, das dem Vater doch ähnlicher ist, als er es wahrhaben will, nachzudenken.


5 Sterne


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