Smaller Default Larger

er amerikanische Offizier Saul K. Padover war bei Kriegsende in besonderer Mission unterwegs:
Er sollte möglichst viele Deutsche vernehmen und herausfinden, was die Besatzungsmächte von Deutschland zu erwarten haben. Im Mittelpunkt seines Berichts stehen nicht Nazigrößen und Generäle, sondern Arbeiter, Lehrer, Anwälte und Hausfrauen – sprich alle die, die überlebt hatten und vor den Trümmern der Vergangenheit standen. Ihre Aussagen waren unverfälscht und offen, noch dominieren nicht die gängigen Apologien der Nachkriegsjahre.
Erst nach 50 Jahren wurde dieses wichtige Dokument ins Deutsche übersetzt!

 

  Autor: Saul K. Padover
Verlag: Eichborn Verlag Ag
Erschienen: 2001 (2. Auflage)
ISBN: 3-548-75006-0
Seitenzahl: 337 Seiten  


Stil und Sprache
Lügendetektor ist ein schwer einzuordnendes Buch. Es ist ein autobiographischer Bericht, eine Dokumentation der Mentalität der Deutschen bei Kriegsende, Oral History (Interviews) und Chronologie des Vormarsches der amerikanischen Streitkräfte 1944-1945. Also eine historische Quelle. Und als solche sollte das Buch auch gelesen werden. Padover gehört der Abteilung „Psychologische Kriegsführung“ der US Armee an. Zu seinen Aufgaben gehört es, mehr über Deutschland und die Deutschen herauszufinden, denn für die Alliierten ist Deutschland ein weißer Fleck auf der Landkarte und niemand weiß was ihn dort erwartet.
Er hat ein großes Talent zu erzählen, vieles, das er im Schlepptau der amerikanischen Armee erlebt, gibt er so wieder, dass man das Gefühl hat persönlich dabei gewesen zu sein. Manches schildert er, als handle es sich lediglich um ein Abenteuer und nicht um Krieg. Seine gute Beobachtungsgabe ermöglicht es ihm z.B. die Zerstörungen in Aachen so zu beschreiben, dass sofort Bilder im Kopf entstehen. Gerade weil er auch scheinbar absurde Begegnungen festhält, erhält man einen guten Einblick in die damalige Zeit. Die Interviews sind gut ausgewählt und so mancher Nazi entlarvt sich selbst. Viele Interviewpartner sind sehr ehrlich und lassen tiefe Einblicke in ihre Seele zu. Durch seine gute Menschenkenntnis gelingt ihm mit wenig Aufwand die Charakterisierung seiner Interviewpartner. Besonders die Deutschen zeichnet er sehr lebendig. Die Interviews werden manchmal durch Lebensläufe ergänzt, z. B. von Sozialdemokraten und Kommunisten, die in Gefängnissen oder KZ´s einsaßen. Die von ihm befragten Zwangsarbeiter dagegen erhalten leider kein wirkliches Gesicht. Ebenso wenig erscheinen die russischen Soldaten, die er in Torgau trifft, Menschen aus Fleisch und Blut zu sein, eher sind sie Stereotypen. Schade. Oder schon dem beginnenden Kalten Krieg geschuldet?
Er beobachtet aber auch die Amerikaner und nimmt kein Blatt vor den Mund, scheut sich nicht, deren Verhalten zu kritisieren. Sowohl was das persönliche Fehlverhalten betrifft, als auch die allgemeine Besatzungspolitik hinsichtlich der „Entnazifizierung“ der Stadtverwaltungen.
Manches bleibt im Dunkeln. Was will er z.B. erreichen, wenn er einen MP zitiert, der sagt „Ich befolge nur meine Befehle“ (als er Padover nicht passieren lässt) und ein paar Seiten weiter ein Deutscher Gräueltaten an der Ostfront mit den gleichen Worten rechtfertigt? Oder wenn er sich über die Dokumentenwut der Deutschen lustig macht, aber kurz darauf die amerikanische Bürokratie schildert.
Für das Grauen in Buchenwald findet der ansonsten so redegewandte Padover keine Worte. Der zeitliche Abstand ist 1946 noch nicht groß genug. Er muss seine Seele unter allen Umständen beschützen. Dies versteht man sehr gut, es ist aber auch fürchterlich zu lesen, weil er die überlebenden Opfer ein zweites Mal entmenschlicht, wenn er sie „Gerippe“ nennt und „…das waren keine Menschen“ schreibt (S. 294). Das tut weh.
Manchmal ist mir der Erzählstil zu flapsig, andererseits wird dadurch aber auch etliches erst so richtig deutlich, so dass man sich noch daran erinnert, nachdem man das Buch längst zu Ende gelesen hat.


Aufmachung des Buches
„Lügendetektor“ ist ein Taschenbuch, dessen Titelseite das Foto einer begeisterten Menschenmenge, mit zum Til zum Hitlergruß erhobener Hand, zeigt. Dies weist schon sehr deutlich auf den zeitgeschichtlichen Inhalt hin. Untertitel und Klappentext unterstreichen dies noch.


Fazit
Dieses Buch kann und sollte aus mehreren Blickwinkeln gelesen werden. Es ist ein Kaleidoskop Europas in der Zeit bis zum 8.Mai 1945. Pflichtlektüre für alle Nachgeborenen.
Für mich gibt es allerdings Kritikpunkte, die mit dem Autor gar nichts zu tun haben, sondern mit der Entscheidung des Verlags, das Buch in gekürzter Form herauszugeben. Ich fühle mich dadurch als Leser entmündigt. Was wird mir vorenthalten? In welche Richtung meine Rezeption gelenkt?
Wichtig wäre meiner Meinung nach, ein Nachwort gewesen, das aus heutiger Sicht manche Dinge erklärt und evtl. relativiert. Auch wäre eine ausführlichere Biographie Saul Padovers nützlich gewesen. Über die Abteilung „Psychologische Kriegsführung“ hätte ich ebenfalls gerne mehr erfahren. Trotzdem 5 Sterne.


5 Sterne


Hinweise
Dieses Buch kaufen bei: amazon.de

Amerikanische Originalausgabe: „Experiment in Germany. The Story of an American Intelligence Officer“ (erschienen 1946)

Facebook-Seite

FB

Partnerprogramm

amazon

Mit einem Einkauf bei amazon über diesen Banner und die Links in unseren Rezensionen unterstützt du unsere Arbeit an der Leser-Welt. Vielen Dank dafür!

Für deinen Blog:

BlogLogo