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Ich hatte einen Bruder, und habe ihn verloren.
Ich hatte eine Tochter, und sie wurde mir weggenommen.
Daran bin ich zerbrochen.
Nach meiner Entlassung aus der Klinik wollte ich Irina wieder sehen, aber das wurde mir nicht erlaubt.
Was ist mir geblieben? Nichts!
Deshalb hat es mich nach Jalalabad verschlagen.

 

El_Nino_Sammelband_03  Originaltitel: Les Humanoides Associés: Le Vent des 120 jours; Les Passes de l’Hindou Kouch
Autor: Christian Perissin
Übersetzer: Marcel Lecomte
Illustration: Boro Pavlovic
Verlag: Mosaik Steinchen für Steinchen
Erschienen: 05/2010
ISBN: 978-3-941815-38-4
Seitenzahl: 112 Seiten
Altersgruppe: ab 14 Jahren (Empfehlung des Rezensenten)


Grundidee der Handlung
Seit den Ereignissen von Kra und Celebes (El Nino, Sammelband 2) ist Vera daran zerbrochen, dass sie ihren Bruder zwar gefunden, er dann aber erschossen wurde, und dass ihr die kleine Irina weggenommen wurde. Da sie in Frankreich nichts mehr hielt, nahm sie die humanitäre Hilfe wieder auf – und versucht nun, in Afghanistan Frieden zu finden. Doch sie gerät in dem seit langem vom Bürgerkrieg gebeutelten Land zwischen die Fronten des rücksichtslosen Kommandanten Nazim Sharaf, der die Bevölkerung entwaffnen soll, und den Mudschaheddin. Es beginnt ein tödliches Katz-und-Maus-Spiel zwischen dem afghanischen Militär und den Freiheitskämpfern …

El Nino ist seit dem ersten Teil eine abenteuerliche Geschichte auf der Suche nach der eigenen Identität, nach seinen Wurzeln und seinen Idealen. Dabei ist die Protagonistin Vera dem Leser bereits ans Herz gewachsen. Mit dem dritten Sammelband, in dem die Einzelbände 6 und 7 zusammengefasst sind, gibt Christian Perissin seiner Szenerie einen würdigen Abschluss und bettet den Plot dabei in die kulturelle, aber auch in die politische Situation Afghanistans. Und so bietet er weit mehr als bloße Unterhaltung, sondern spricht den Leser direkt an, klärt ihn über die Hintergründe des armen Landes auf, macht ihn betroffen und nachdenklich.


Beurteilung der Zeichnung / Textdarstellung
Auch die grafischen Arbeiten des dritten Sammelbandes der Serie stammen von Boro Pavlovic. Ihn zeichnet besonders die Kontinuität aus, mit der er zu Werke geht – er hat eine gleich bleibende, hohe Qualität, die sich über die gesamte Reihe erstreckt.
Direkt zu Beginn des Comics gilt es, die afghanische Landschaft zu bestaunen, die Pavlovic wiedergibt. Die schroffen Gebirge Süd-Nuristans sind ihm vorzüglich gelungen, mit dem richtigen Maß an Kontrasten, Farbe und Details geht er an die Umgebung, lässt die Farbkraft und Genauigkeit in der Ferne ausklingen und sorgt so für Tiefe. Immer wieder setzt er in seinen Werken gekonnt die Schönheit des afghanischen Berglandes um. Ob nun Gebirgsseen, Wasserfälle oder schneebedeckte Kuppen, die Bilder sind erstaunlich anzuschauen, auch wenn die Flächen, die im Schatten liegen, grob schraffiert sind. Einfacher und deutlich schemenhafter, aber aufgrund seiner Größe nicht weniger imposant, ist der riesige Friedhof von Jalalabad, der im Hintergrund die Bebauung einfacher Häuser grob andeutet, die sich bis hoch auf die Hügel hinaufziehen. Die Straßenzüge und das Stadtleben sind gut getroffen und entsprechen in seinem Look dem, was der westliche Leser aus guten Fernsehdokumentationen und von Fotos aus Afghanistan kennt. Allerdings fällt auch hier immer wieder die grobe Schraffierung der Schattenbereiche auf. Bei Übersichtszeichnungen, wie z.B. in dem Park auf Seite 47, ist Pavlovics Art deutlich einfacher, als man es von den Bildern des Gebirges gewohnt ist. Hier geht er auf die vielen Bereiche, die zum Vorder- und Hintergrund gehören – Straßen, Bäume, ferne Gebäude – nur ansatzweise ein, ohne die einzelnen Elemente jedoch gänzlich auszuarbeiten.

Mit einem hohen Maß an Kunstfertigkeit geht der Grafiker an Figuren heran, die er im Vordergrund platziert oder gar heraus greift. Dann zeichnet er oft bis auf die Wimpern genau, verleiht den Personen durch Falten und andere Merkmale Charakter und ein gut einschätzbares Alter, und passt die Mimik den Begebenheiten an. Besonders aufgefallen sind manch astreines Portrait zu Beginn des siebten Bandes: sehr genau und klar erstellt, zeigen sie perfekt Emotionen wie Spott, Selbstsucht und hämisches Grinsen auf der einen, Schock, Angst und Trauer auf der anderen Seite. Rücken die Figuren in die Bildmittel- oder gar –hintergründe oder nehmen nur wenig Raum in einem Panel ein, nimmt die Detailzeichnung der Personen entsprechend ab, bis sie zuletzt nur noch angedeutet werden. Trotzdem sind die einzelnen Charaktere dann meistens noch zu erkennen.
Sehr gut gefiel mir, wie genau er bei den Männern auf die in Afghanistan und den Nachbarländern bestehenden Merkmale, wie das Tragen eines Schnur- oder Vollbartes eingeht. Auch die Bekleidungen sind authentisch und entsprechen den zentralasiatischen Traditionen. In seinen Bildern greift Pavlovic – soweit das beurteilt werden kann – die arabische Kultur, die Bräuche und Verhaltensweisen glaubhaft auf und bringt sie dem Leser näher. Er geht auch auf die politischen Probleme des Landes ein, vermeidet dabei aber Einseitigkeit und prangert keine Seite als „die Bösen“ an.
Der Liebesakt der deutschen Soldatin Sigrid mit dem Fotografen Drancourt wird recht offen und unverblümt, allerdings auch nicht sehr explizit gezeigt, so dass der Comic – auch wenn diese Szene kurz ist – nicht für unter 14jährige geeignet ist. Ähnlich schaut es mit manchen Gewaltszenen aus, die nie überzogen oder gar verherrlichend, aber trotzdem mit der nötigen Offenheit ausfallen.

Ausrüstungen wie Waffen werden oft bis ins kleinste Detail genau dargestellt, wenn sie im Bild nicht zu klein erscheinen. Fahrzeuge, ob nun private oder die gepanzerten des Militärs, hat der Zeichner sehr genau ausgeführt, auch bei den Black Hawks über Kabul hält er sich so eng wie nur möglich an die Vorlagen und schafft so ein glaubhaftes und realistisches Bild.

Die Farbpalette ist natürlich, überwiegend aber kräftig. Sei es nun der sattblaue und nur leicht bewölkte Himmel, das Grün-Rot der Mohnfelder oder das Braun der Bergketten. Trotzdem ist die Farbkraft der Kolorierung nie überzogen und passt sich den Begebenheiten an, matte Beigetöne kommen auf den staubigen Straßen, eine grauweiße Färbung in den verschneiten Bergen zum Einsatz. Daneben bezieht der Comic aus den knackigen, aber nie übertrieben hohen Kontrasten seine Lebendigkeit.
Die Panelanordnung ist überwiegend klassisch. Weicht die Bildreihenfolge vom üblichen Muster ab, verdeutlichen kleine gelbe Pfeile die Lesereihenfolge der Panels. Bei der Textdarstellung gibt es keine Besonderheiten, sie entspricht dem gängigen Comicstil. Soundwords finden nur recht selten, z.B. bei Gefechten, Verwendung.


Aufmachung des Comics
Wie schon die ersten beiden Sammelbände, so wird auch dieser Comicband im A4 großen und mit einem festen Bucheinband versehenen Format im Handel oder über die Verlagshomepage (www.zack-magazin.de) vertrieben. Bei dieser Größe kann das Werk im heimischen Buchregal zwar Probleme bereiten, bietet dafür aber den Zeichnungen ausreichend Platz. Die Materialien, die beim Umschlag und im Innenteil Verwendung finden, sind von guter Qualität, die Verarbeitung ist tadellos. Die graumamorierten Vorsatzpapiere zeigen vorne und hinten unterschiedliche, sehr grob skizzierte Bleistiftszenen, die allerdings beide dem zweiten Sammelband entnommen sind.


Fazit
Die spannende und abenteuerreiche Suche von Vera nach ihrem Selbst und ihrem Weg im Leben findet mit diesem Band einen würdigen Abschluss. Der Plot ist Perission gelungen und führt diesmal in die Kultur, die Tradition, aber auch die politischen Probleme Afghanistans ein. Pavlovics Zeichnungen haben das bereits bekannte Maß und überzeugen im Wesentlichen mit einer hohen grafischen Qualität, während er Vera in seinen Bildern lebendig werden lässt. Empfehlenswert, nicht nur für Fans der Reihe!


4 Sterne


Hinweise
Diesen Comic kaufen bei: amazon.de

Backlist:
Band 1: Die Passagierin der Capricorne / Rio Guayas
Band 2: Der Archipel der Badjo / Die Vergessenen von Kra / Der Ausgestoßene von Celebes

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