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Als Bobby aus der Haft entlassen wird, steht am Tor sein Vater mit einem gestohlenen Buick Skylark, ein paar Gramm Koks im Handschuhfach und der Hure Mandy auf dem Rücksitz …

 

 

Originaltitel: Coronado
Autor: Dennis Lehane
Übersetzer: Resel Rebiersch
Illustration: Jacques de Loustal
Verlag: Schreiber & Leser - noir
Erschienen: Juni 2010
ISBN: 978-3-941239-41-8
Seitenzahl: 94 Seiten
Altersgruppe: ab 15 Jahren (Empfehlung des Rezensenten)

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Die Grundidee der Handlung
Hauptpersonen sind Vater und Sohn, beides Kleinganoven, die sich nach Bobbys Entlassung aus dem Gefängnis auf Spurensuche nach einem verschollenen Hochkaräter begeben. In Rückblenden erfährt man, dass die Beiden vor vier Jahren zusammen mit Bobbys damaliger Freundin Gwen vorhatten, einen Minenarbeiter um seinen illegal erworbenen Reichtum, sprich Diamanten, zu erleichtern. Die Aktion schlug fehl, Bobby wurde angeschossen, landete im Gefängnis und Gwen machte sich mit dem Diamanten aus dem Staub. Bobbys Vater hielt sich indessen mit Scheckbetrügereien über Wasser.

Zusammen mit zwei anderen Titeln läutet Coronado bei Schreiber & Leser deren neues Label noir ein. Illusionslosigkeit, Täuschung und Rache sind die tragenden Elemente des Comics, der sich wie ein düsteres Roadmovie liest und dessen Plot eine Adaption von Dennis Lehanes Kurzgeschichte Bis Gwen ist. Der renommierte amerikanische Krimiautor lieferte schon die Vorlagen für erfolgreiche Hollywoodverfilmungen wie Mystic River und Shutter Island. Die spannend aufgebaute, puzzleartige Geschichte ist viel zu schnell ausgelesen, denn nur wenig Text begleitet die halb- und einseitigen Panels. Dafür ist jeder Satz von Bedeutung, ein aufmerksames Lesen unabdingbar. Loustals künstlerisch sehr anspruchsvolle Illustrationen und die damit heraufbeschworene coole Atmosphäre machen aus dem Comic ein Gesamtkunstwerk.


Beurteilung der Zeichnung / Textdarstellung
Loustals Artwork ist die perfekte Verschmelzung von Expressionismus und Pop-Art mit hart wirkenden, schwarzen Umriss- Schattierungs- und Akzentuierungslinien, poppigen, kräftigen Farben und teilweise leicht verzerrten Abbildungen. Mal wirkt es kühl und unwirklich, dann wieder warm, jedoch haftet ihm stets eine betrübliche Trostlosigkeit an. Die recht großen Panels üben eine magische Anziehungskraft aus, so dass einem das Lesen vorkommt, als würde ein Film z.B. von Quentin Tarantino vorbeiziehen. Hier herrscht die gleiche düster-coole, aussichtslose  Stimmung mit schmierigen Kleinkriminellen, für die Töten fast schon Nebensache ist.

Die atmosphärischen Hintergründe sind ganz großes Kino. In der Eröffnungsszene steht ein unendlicher, strahlendblauer Horizont symbolisch für Bobbys frisch erlangte Freiheit. Wenige Augenblicke später schimmert ein zartgelbes, unwirkliches Licht von außen in den Wagen, dessen drei Insassen mit aufgesetztem, unwichtigem Geschwätz nur ihre Befangenheit überspielen wollen. Genauso wird der Showdown am Schluss in ein dominierendes Licht gehüllt, diesmal in sattes Nachtblau. Dazwischen spannt sich ein stimmungsvoller Bogen, der sich aus dem schmuddeligen Interieur eines billigen Hotelzimmers, leergefegten Straßen und trostlosen Gebäudefassaden anonymer Industriestädte oder der sterilen Nüchternheit eines Altenpflegeheimes nährt.

Ein Krimi wäre kein Krimi, würden ihn nicht ein paar Tote und Schießereien zieren. Das verhält sich in Coronado nicht anders, jedoch spielen diese Elemente eine eher untergeordnete Rolle und ihre Darstellung beschränkt sich auf ein Minimum an Gewalt und Blut.
Als großen Schwachpunkt in den Grafiken empfand ich die mangelnde Fähigkeit einer Figurencharakterisierung. Oftmals zweidimensional dargestellte Protagonisten oder abgestumpft wirkende, nichtssagende Mienen, die unmöglich zu deuten sind, schaffen ein Gefühl von Distanz und blutloser Staffage. Die ganze Zeit über bleibt man externer Beobachter mit geringer Anteilnahme.

Die Geschichte ist in 5 Akte unterteilt, die gleichzeitig auch gegenwärtige und rückblickende Handlungsstränge klar voneinander trennen – abgesehen von zwei Ausnahmen: in den 1. Akt der Gegenwartshandlung sind zwei ganzseitige Rückblende-Panels eingeschoben, deren Schwarz-Weiß-Optik sie dennoch leicht erkennbar macht. Eine einheitliche Handhabe für die Darstellung der Vergangenheit hätte ich allerdings besser gefunden.

Pro Seite hat man überwiegend zwei Panels (gelegentlich auch nur eines) mit 0,5 cm Abstand auf weißem Untergrund platziert. Das Schriftbild zeigt sich sowohl in den rechteckigen Textblasen als auch im Erzähltext einheitlich in Großbuchstaben. Wie schon eingangs erwähnt, kommt der Comic mit wenig Dialog aus, der dann den sprechenden Personen immer eindeutig zuordenbar ist. Dies mindert aber keinesfalls das Verständnis für die Handlung oder die Qualität der Erzählweise. Der Erzähltext befindet sich immer unterhalb der Illustrationen auf weißem Untergrund. Soundwords begegnet man äußert selten. Sie fügen sich stets unauffällig in die Illustrationen ein.


Aufmachung des Comics
Wie für Schreiber & Leser typisch, ist auch dieser Comic eine fadengebundene Klappenbroschur, was ihn langlebiger und hochwertiger macht als die sonst üblichen ‚nur‘ geklebten Broschuren. Er hat Graphic Novel-Format, das irgendwo zwischen A4 und A5 liegt. Auf den beiden Klappen befinden sich jeweils die Autoren- und Zeichnerporträts. Die Seiten im Innenteil bestehen aus einem etwas dickeren, rohweißen, schön griffigen Papier. Im Anhang sind die zwei anderen noir-Titel aufgeführt sowie alle von Loustal illustrierten Comics bei Schreiber & Leser.

Eine Laterne strahlt einen kleinen Teil der ansonsten dunkel gehaltenen Coverszenerie an. Im Vordergrund fällt Gwens unbewegtes Profil mit den markanten roten Lippen in den Spot der Lampe. Der Rest – Bobby und der Buick seines Vaters – ist kaum in der Dunkelheit zu erkennen. Autoren-, Zeichner- und Titelnamen heben sich in strahlendem Weiß vorteilhaft vom nachtblauen Hintergrund ab. Das Cover ist zweifellos eigenwillig, vermittelt aber einen guten Eindruck über den Buchinhalt. Auf dem schwarzen Untergrund der Rückseite richtet sich das Auge des Betrachters sofort auf eine helle, kleine Illustration aus dem Comic, darunter ist in weißer Schrift die Inhaltsangabe abgedruckt.


Fazit
Mit der Bewertung tue ich mich diesmal schwer, stehe ich dem Comic zwiespältig gegenüber. Geboten wird eine spannende, coole Gaunergeschichte, eingebettet in eine atmosphärische, individuelle, anspruchsvolle Optik. Ich würde Coronado als stimmig konzipiertes Gesamtkunstwerk bezeichnen, gleichzeitig birgt sich darin seine größte Schwäche: mangelnde Charakterzeichnung unterbindet jegliche Anteilnahme und Identifikation.


3 5 Sterne


Hinweise
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