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Unruhige Zeiten im ehrwürdigen Weimar von 1805. Erst bricht ein Schauspieler tot zusammen, als Goethe seinen "Faust" aufführt, dann liegt Schiller sterbenskrank danieder. Und mitten in der Szenerie die Brüder Grimm, die den beiden Dichterfürsten ihre Aufwartung machen wollen – und stattdessen in ein finsteres Komplott um ein geheimnisvolles Manuskript geraten.

 

  Autor: Kai Meyer
Verlag: Lübbe
Erschienen: 01/2003 (3. Auflage), Erstausgabe 1995
ISBN: 978-3404148424
Seitenzahl: 384 Seiten 


Die Grundidee der Handlung
Wir schreiben das Jahr 1805. Die Jurastudenten Jakob und Wilhelm Grimm machen den von ihnen verehrten Dichterfürsten Goethe und Schiller ihre Aufwartung. Als die beiden Brüder dem dahinsiechenden Friedrich Schiller eine Medizin überbringen, übergibt dieser ihnen das Manuskript seines letzten, unvollendeten Werkes „Die Geisterseher“. Schon bald strecken dunkle Gestalten ihre Fühler nach dem geheimnisvollen Buch aus und die Brüder Grimm fliehen in das preußisch besetzte Warschau. Dort treffen die beiden auf den trunksüchtigen Regierungsbeamten E. T. A. Hoffmann. Zusammen mit ihm machen sie sich an die Lösung des Rätsels um das geheimnisvolle Manuskript und geraten dabei immer tiefer in einen Strudel aus Mord und Verschwörung.

„Witzige Idee“ war mein erster Gedanke als ich den Klappentext von „Die Geisterseher“ das erste Mal las. Sollten sich doch hier Literaturgrößen wie die Gebrüder Grimm, Goethe und Schiller in einem „unheimlichen Roman im klassischen Weimar“ tummeln. Leider ist der Untertitel des Buches irreführend. So spielt zum einen der größte Teil des Buches nicht in Weimar, sondern in Warschau und dem polnischen Hinterland, zum anderen fehlt es der Geschichte an wirklich unheimlichen Elementen. Allein eine finstere Gestalt im wehenden Mantel und die Präsenz eines Serienmörders reichen da nicht aus. Vielmehr handelt es sich bei „Die Geisterseher“ um einen mysteriösen Verschwörungsthriller vor historischer Kulisse.


Stil und Sprache
Sprachlich ist „Die Geisterseher“ bemerkenswert. Das Buch ist aus der Ich-Perspektive keines geringeren als Wilhelm Grimm geschrieben. Folgerichtig hat sich der Autor um einen zeitlich entsprechenden Sprachstil bemüht: Er benutzt bombastische Ausdrücke, schachtelt Sätze und fasst Dialoge auch schon mal kognitiv zusammen. Beim Lesen stolpert man zunächst über die etwas sperrige Sprache, an die ich mich aber relativ schnell gewöhnte. Die Handlung breitete sich nun langsam vor mir aus und zog mich Stück für Stück in ihren Bann. Das Lesevergnügen wurde jedoch immer wieder durch Passagen getrübt, in denen ich den Eindruck hatte, die Handlung würde von der pompösen Sprache aufgesogen wie Wasser von einem Schwamm. Letztlich hinderte mich dieser Umstand daran, gänzlich in die Welt Kai Meyers abzutauchen.
Trotzdem war ich gespannt darauf, wie sich das immer vertracktere Handlungsmuster auflösen würde – und wurde enttäuscht. Der Roman verflacht am Ende zusehends und die Auflösung wird den geschürten Erwartungen leider nicht gerecht.
Positiv hervor zu heben bleibt der augenzwinkernde Humor, den Kai Meyer hier und da einstreut. Besonders originell ist die Idee von „Vogelöd“, einer Art Refugium für blockierte Schriftsteller, wo sich seit Jahrhunderten alles was literarisch Rang und Namen hat seine Einfälle zusammen klaut.


Figuren
Die Figuren sind einer der interessantesten Aspekte an diesem Roman. Wie bereits erwähnt, ist die Geschichte aus der Sicht Wilhelm Grimms geschrieben. Dieser handelt eher impulsiv, teilweise ein wenig naiv und steht so im krassen Gegensatz zu seinem eiskalt berechnenden Bruder Jacob. Das Wechselspiel der beiden ungleichen Geschwister ist gelungen und zeitweise sogar recht amüsant.
In fast jedem Kapitel stolpert man über neue historische Persönlichkeiten, die geschickt in einen mehr oder weniger korrekten Hintergrund eingewoben werden.
Diese illustre Gesellschaft von Charakteren ist größtenteils gut ausgearbeitet bzw. interpretiert.


Aufmachung des Buches
Das Cover des Buches ziert ein Gemälde im romantischen Stil. Es zeigt eine Herrengesellschaft Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts. Zeitlich wie inhaltlich passt dies durchaus zur Geschichte und wirkt im Zusammenspiel mit der übrigen Farbgestaltung des Buches sehr stimmungsvoll.
Der Roman besteht aus drei Teilen. Interessant daran ist, dass die humorvoll-kryptischen Überschriften der einzelnen Kapitel nicht zu Beginn des jeweiligen Textabschnittes stehen, sondern jeweils am Beginn des jeweiligen Teils (der Roman ist in drei Teile untergliedert) zusammengefasst sind. Blättert man am Ende des Teils zurück, erhält man so eine augenzwinkernde Zusammenfassung der Ereignisse. Witzige Idee!


Fazit
Alles in allem lässt sich sagen, dass mit „Die Geisterseher“ eine großartige Idee leider nur mittelmäßig umgesetzt wurde. Dem Autor geht am Ende des Romans die Puste aus und so passiert das Schlimmste, was einem Roman passieren kann: Das Ende enttäuscht, weshalb „Die Geiserseher“ allenfalls guter Durchschnitt ist.


3 5 Sterne


Hinweise
Dieses Buch kaufen bei: amazon.de

Die Abenteuer der Gebrüder Grimm finden in Kai Meyers „Die Winterprinzessin“ eine Fortsetzung.

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