Smaller Default Larger

Mr. Donovan, Sie sind in Irland geboren und haben Ihre Heimat in den späten 1980er Jahren verlassen. Warum kehrten Sie Irland den Rücken und gingen in die USA?

Ich habe Irland verlassen, um eine andere Sicht der Dinge zu bekommen, in einer anderen mentalen und physischen Sphäre zu experimentieren, oder auch einfach nur dort zu sein, wo ich noch keine Vergangenheit habe. Es ist schwierig einen neutralen Ort zu finden, aber vor einigen Jahren fand ich diesen Ort in den USA. Mein Bruder lebte zu der Zeit in Arkansas, in der südzentralen Region der Staaten.


Nun leben Sie in der Nähe von New York in einer Blockhütte umgeben von Wald und Farmland, sie haben einen Hund namens Hobart. Das waren Inspirationen für Ihr neuestes Buch „Winter in Maine“. In Ihren Gedanken zum Buch beschreiben Sie, dass einige autobiografische Charakterzüge existieren. Wer war das Vorbild für den Protagonisten Julius Winsome?

Meine Inspiration war ein tatsächliches Ereignis. In der Nähe meiner Blockhütte wohnt ein Nachbar in den Wäldern, dessen Hündin von einem Unbekannten durch eine dicht angelegte Schrotflinte aus nächster Nähe angeschossen wurde. Die Hündin schaffte es vom Wald zurück zur Farm und brach in einem Blumenbeet zusammen. Sie hat überlebt. Ich überlegte, was ich getan hätte, wenn mein Hund angeschossen worden wäre. Dieser Gedanke war der Beginn für den Roman. Die Ideen wuchsen sehr schnell in mir, der Name des Hauptcharakters, Julius Winsome, Shakespeare, und die Art, wie die Sprache des Mittelalters im Laufe der Entwicklung des Roman vorherrscht, während Julius Winsome von der jahrhundertealten Ausführungsform von Vergeltung gepackt wird, allerdings ohne Anklage und Urteil. Ich wusste, er musste ein altes Gewehr nehmen, obwohl es keinen logischen Grund dafür gibt. Es war eine instinktive Entscheidung, vielleicht als Vermächtnis der Gewalt. Ich habe über meinen Hund geschrieben, denn er wandert zu oft allein in den Wäldern, auch an diesem Tag.


Sind Sie auch ein einsamer Wolf wie Julius Winsome?

Die meiste Zeit.


Ihre Prosa ist ruhig und intensiv, es fühlt sich an, als ob man den erschreckenden Prozess verstehe, wodurch ein gutmütiger Einzelgänger ein verwirrter Mörder wird. Der Roman wird durch die Perspektive Julius Winsome, dem Protagonisten, ein schroffer und einfacher Mann, erzählt. Aber wir erfahren auch von seiner Trauer, seinem Verlust und seiner Einsamkeit. Ist das eine Art von Moralität?

Moralität ist für mich der gemeinsame Sinn, was richtiges Verhalten ausmacht. Dies bedeutet aber, dass die Moral sich je nach Gesellschaft unterscheidet. Ich glaube, dass Ethik fundierter ist als jedwede Moral, da Ethik sich damit befasst, wie Menschen sich gegenseitig behandeln. Dennoch, Julius Winsome bewegt sich außerhalb der Moral. Wir, die Leser, sind an seine Gedankengänge gebunden. Er hatte nur wenig tatsächliche Beziehungen zu anderen Menschen, demnach können seine Taten nicht an irgendeinem Standard gemessen werden, außer diejenigen, die von seinen Gefühlen, seinem Sinn nach Loyalität und Tapferkeit sowie Mitgefühl geleitet werden. Es sind all die Eigenschaften, die er durch seinen geliebten Hobbes kannte. Ich vermute, Moral wäre für ihn nur ein sehr oberflächlicher Begriff. Was er als wertvoll erachtete, war die Kameradschaft und das Leben, das er mit Hobbes teilte. Tiere stellen keine Fragen, sie akzeptieren, und als Hobbes getötet wird, wird Julius komplett durch die plötzliche Trauer und Einsamkeit von seiner Festung gestoßen, und fühlt etwas unter der Tür durchkriechen: Rache. Es ist keine egozentrische Rache, es ist nicht Selbstgerechtigkeit. Er möchte für seinen Hund sprechen, der nicht für sich selbst sprechen kann. Er möchte eine Stimme für die sein, die stumm sind. Er weiß, was ihm genommen wurde, das einfache jedoch bedeutungsvolle Leben durch eine namenlose Person. Also erschießt er jede namenlose Person, die er im Wald umherstreifend und bewaffnet finden kann. Für ihn sind sie schuldig durch die Tat oder schuldig durch die Verbindung. Vielleicht ist das der Sinn für Moral. Julius vermisst Hobbes sehr und möglicherweise mehr als er einen Menschen vermissen würde. Tatsächlich vermisst er seinen Hund genauso wie er seinen Vater vermisst, nur dass der Verlust seines Hundes jetzt besonders heftig ist, da er sein letzter Gefährte war. Julius‘ Einsamkeit vergrößert den Schmerz über den Verlust von Hobbes, und der Schmerz über den Verlust von Hobbes vergrößert seine Einsamkeit. Ich glaube viele Menschen fühlen sich beleidigt über das Fehlen einer Grenze zwischen Trauer und Rache wie sie in einem Roman dargestellt werden. Ich akzeptiere jedoch nicht, dass es unbedingt eine Grenze geben muss, die jeder erkennen kann.
Daher habe ich in dem Roman die Momente der Reflexion und die Momente der Tötungen nicht auseinanderdividiert. In seinen Gedanken gibt es keine Unterschiede, warum sollte ich welche kreieren? Wenn seine Gefühle in die Tat umgesetzt werden, ist er ein tödlicher Feind: erneut ohne Warnung, ohne Logik. Dieser Aspekt des Romans hat das Potential manche Menschen zu beleidigen, die eine Art von moralischer Abrechnung erwarten – eine Art von Prozess. Zu dieser Zeit beginnt der Roman, alles was zur Destruktion führt ist schon gegenwärtig. Das ist der Punkt.


Sie haben „Winter in Maine“ in acht Wochen geschrieben. Wie ist das möglich? War die gesamte Geschichte schon in Ihrem Kopf? Wuchs sie Tag für Tag bis sie zum Niederschreiben fertig war?

Die Erzählstimme erschien sehr schnell, und die Stimme ist meiner Meinung nach der schwierigste Teil, um den richtigen Moment des Schreibens zu erkennen. Wörter können jeden Tag geschrieben werden, aber wenn die innere Stimme richtig ist, die persönliche Situation, das Milieu und der Plot fertig sind, entwerfe ich sehr schnell die Geschichte. Zeitweise dachte ich, die Geschichte wurde mir ins Ohr geflüstert, so schnell habe ich geschrieben. Einige Monate später überarbeitete ich den mittleren Teil (ich musste es kürzen), dieser Prozess des Redigierens dauerte nochmals einige Wochen. Ich schreibe soviel „außerhalb des Papiers“, d.h. nicht mit der Hand, sondern mehr in Gedanken und das eigentliche Aufschreiben ist nur noch Formsache.


In Irland studierten Sie Philosophie und Germanistik. Sie arbeiteten in einer Käsefabrik in Bayern, verbrachten sechs Monate an der Technischen Universität in Hannover, später, in den Achtzigern, studierten Sie in Dublin Musik und spielten für sieben Jahre klassische Gitarre. Es scheint, als seien Sie ein vielseitig interessierter Mensch. In den 1990ern schrieben Sie Ihre ersten Gedichte und danach den Roman „Schopenhauers Telescope“. Wann haben Sie das erste Mal daran gedacht, Gedichte und Romane zu verfassen?

Als Kind habe ich schon Gedichte geschrieben, wie soviele Kinder, und als ich fünfzehn war, wurde mein erstes Gedicht veröffentlicht. Die ersten Impulse zum Schreiben habe ich seit meinem vierten Lebensjahr. Meine Zeit in Hannover 1981 hatte auf mich Eindruck hinterlassen. Ich spielte schon damals klassische Gitarre und ich erinnere mich an den Barocken Garten der Stadt. Ich dachte oft daran, Hannover nochmals zu besuchen und die Englische Fakultät in der dortigen Universität. Ende 1999 oder Anfang 2000 fing ich mit meinem ersten Roman „Schopenhauers Telescope“ an. Es begann mit einer einfachen Szene, die immer länger wurde, und nach einigen Wochen erkannte ich den Roman, es war der Moment, als die Situation und der Charakter und der Plot zu einem Ganzen zusammengewachsen sind. Der Moment, in dem eine Geschichte sich in einen Roman verwandelt, wird nahezu immer wahrgenommen. Aber es lag nicht in meiner Absicht einen Roman zu schreiben. Dennoch ist es passiert.


Jetzt ist Julius Winsome in Deutschland unter dem Titel "Winter in Maine" erhältlich und es scheint, als wäre es ein Geheimtipp. Es ist das erste Ihrer Bücher, das ins deutsche übersetzt wurde. Die Kritiker sind einstimmig begeistert. Werden Sie in nächster Zeit Deutschland besuchen?

Derzeit habe ich keine Pläne, aber ich habe bald vor, Deutschland zu besuchen. Letztes Jahr war ich bereits in Berlin.


Können Sie uns sagen, wie es war, mit Thomas Gunkel zusammenzuarbeiten, dem Übersetzer von "Julius Winsome"?

Er ist ein außergewöhnlicher Übersetzer. Wir korrespondierten via E-Mail. Seine Fragen waren technisch spezifisch, aber ebenso kreativ. Ich habe das Gefühl, dass die Fähigkeiten eines Übersetzers alles bedeuten. Der Übersetzer übermittelt nicht nur Wörter und Phrasen und Stimmen und Klänge, er muss auch Metapher und Rhythmus und Syntax äquivalent in die neue Sprache einbringen. Das ist keine leichte Aufgabe, und Thomas Gunkel hat alles richtig gemacht. Ich hatte Glück, dass er den Roman übersetzt hat.


Vielen Dank für das Interview, Mr. Donovan.

Gern geschehen.

Facebook-Seite

FB

Partnerprogramm

amazon

Mit einem Einkauf bei amazon über diesen Banner und die Links in unseren Rezensionen unterstützt du unsere Arbeit an der Leser-Welt. Vielen Dank dafür!

Für deinen Blog:

BlogLogo