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Edgar Tess ist Essenswagenfahrer in einer Schönheitsklinik und nur nebenberuflich Serienmörder. Und er ist Künstler, wie sein Vater, der leider schon tot ist. Tess ist zwar schizophren und hört Stimmen, ist aber sonst ein interessanter Typ, der Frauen fasziniert. Doch er beschränkt sich auf käuflichen Sex, so wie sein Vater, kurz bevor er sich die Rübe weggeschossen hat. Edgar Tess hat also leider ein Frauenproblem. Welcher Mann hat das nicht. Doch bei “Eddie” nimmt das fast schon krankhafte Züge an. Aber das ist bei dieser nörgelnden alten Mutter, die nur Leberwurstbrote isst und im Rollstuhl sitzt, völlig verständlich. "Eddie" hat also auch noch ein Mutterproblem. Welcher Mann hat das nicht. Doch es gibt da noch eine andere Frau. Diane! Was die schöne Ärztin wohl über seine Vernissage denken wird?
Edgar Tess plant nämlich eine Ausstellung, die ihm endlich Mutters Liebe und Anerkennung einbringen soll! Deshalb nimmt sein Interesse an Frauen auch immer mehr sachlich- pathologische Züge an.

 

Autor: Dirk Radtke
Verlag: Periplaneta
Erschienen: 06/2009
ISBN: 978-3-940767-28-8
Seitenzahl: 292 Seiten


Die Grundidee der Handlung
Dem Buchrückentext bleibt an dieser Stelle inhaltlich nichts mehr hinzuzufügen. Dirk Radtke präsentiert in diesem Thriller die recht blutrünstige Unsetzung der Idee - aus menschlichen Körperteilen eine anerkannte Ausstellung zusammenzustellen - eines selbsternannten Künstlers in seinem Wahnsinn. Auf eine neue Art und Weise, in dem er den Leser Anteil an der Persönlichkeit von Edgar Tess haben lässt, bekommt das Ganze jedoch eine Richtung, die weniger brutal als eher skurril und im Mantel des rabenschwarzen Humors auftritt, geht man doch auf die Reise durch die Gedankenwelt eines Psychopathen.


Stil und Sprache
Mit dem Prolog, der sehr humorvoll ausfällt und den Leser direkt anspricht, macht der Autor sofort neugierig auf den Buchinhalt. Radtke schreibt fast vollständig im Präsens und erzählt aus der Sicht des Protagonisten. Der Leser erfährt so sämtliche Absichten, Gefühle und Gedanken von Tess. Dazu kommt, dass der Verfasser den Leser immer wieder durch gezielte Fragen, z.B. „Haben Sie schon einmal eine Leiche im Auto zersägt?“ mit einbezieht. Hierdurch ist man so nah wie nur möglich an der Hauptfigur. Und es macht einfach Spaß, Eddie so nah zu begleiten, denn der Erzählstil ist eine absolut humorvolle, morbide, makabere und skurrile Mischung und schlichtweg unterhaltsam zu lesen, so dass er immer wieder für Lacher oder Schmunzler sorgt. Nur in einem einzelnen Kapitel, in dem der Autor über andere Beteiligte schreibt, wechselt er in die dritte Person, schreibt dann wesentlich sachlicher, nüchterner, nicht unbedingt uninteressant oder langweilig, aber bei weitem nicht so humorvoll. Die Erzählperspektive aus Edgars Sicht fördert zudem nicht nur immens die Spannung, die Radtke gekonnt aufbaut und dann bis zum Ende auf einem hohen Niveau zu halten in der Lage ist, sondern bringt auch mächtig Tempo in den Roman.

Es sei hier gleich angemerkt, dass dieses Buch nicht für Leser mit schwachen Nerven geeignet ist, denn die Morde und auch die Zerstückelungen der Leichen werden recht blutig und exakt - aber genauso schräg wie der gesamte Roman - beschrieben. So schildert der Autor z.B. hemmungslos, wie der Protagonist aus einer ermordeten Hure Leberwurst für seine alte Mutter kochen möchte. Hierzu seziert er die Prostituierte förmlich und wühlt in deren Torso nach einem Organ, das er am ehesten für die Leber hält. Aufgelockert werden die Szenen dadurch, dass veranschaulicht wird, was dabei Eddie durch den Kopf geht, wie es ihm immer wieder den Magen umdreht und er sich mehrfach der Toilettenschüssel ergeben muss, aber trotzdem tapfer durchhält.

Die Sprachgestaltung ist insbesondere im ersten Teil des Buches recht rudimentär und abgedreht, von Flüchen durchzogen und von Schimpfwörtern gebeutelt. Dies mildert sich in der zweiten Hälfte etwas ab, die Wortwahl wird etwas anspruchsvoller, behält den ursprünglichen Stil im Großen und Ganzen aber bei. Zu Beginn der Geschichte ist einer der bestimmenden Gedanken der Hauptfigur, wie wohl Sex mit dieser oder jener Frau wäre. Dies wandelt sich jedoch bald dazu, welche Körperteile bestimmter Frauen für die Vernissage des angehenden Künstlers in Frage kommen. Hauptgrund dafür ist, dass Eddie von zwei aufdringlichen Stimmen heimgesucht wird, die sich gelegentlich streiten oder – eher – inhaltlich perfekt ergänzen und als verrückte Gedanken und Assoziationen zwischen dem üblichen Fließtext hervorschießen. Um sich klar vom Erzähltext hervorzuheben, wurden sie einerseits kursiv gedruckt, zum anderen bekommen sie immer eine eigene Zeile, so dass es kein vertun gibt. Und diese Stimmen sind zwar völlig anstößig und verrückt, aber es ist immer wieder ein Genuss mitzuerleben, wie sie mit Edgar umgehen und ihn im Laufe des Buches nach und nach auf ihre Seite ziehen und von ihrer Sache überzeugen. Eine herausgegriffene Textstelle sei hier mal als Beispiel zitiert:
- „…verdammt noch mal, ihr wisst, dass ich das habe!“
- Das hat er nicht, das hat er nicht…
- Der Eddie ist ein armer Wicht…
- „Ihr verfluchten Scheißer! Verpisst euch doch endlich und lasst mich in Ruhe.“
- Ruhe, Ruhe, Ruhe…
- Nutte in die Truhe…

Mit einem guten Sprecher wäre dieser Roman die perfekte Vorlage für die Umsetzung zu einem unterhaltsamen Hörbuch.


Figuren
Die Hauptfigur dieses Romans ist natürlich Edgar Tess, und – bedingt durch die Erzählperspektive – kommt ihm auch die meiste Aufmerksamkeit zu. Dirk Radtke hat seinen Protagonisten, der sich sowohl seiner Psychose als auch seiner Paranoia wohl bewusst ist, sehr gut und glaubhaft ausgearbeitet, aber auch die anderen Figuren, die ihrer Rolle entsprechend mehr oder weniger blass bleiben, überzeugen.
Seit sich sein Vater - ein verkappter Künstler, von dem Edgar gelernt hat, für Sex und Liebe zu bezahlen - umgebracht hat und seine terroristische Mutter den Sohn für den Tod verantwortlich machte, hört Eddie die zwei Stimmen in seinem Kopf, die ihm zunehmend dominieren und zu unglaublichen Schandtaten anstacheln. Einfach beeindruckend ist, wie sich alles nur um Tess dreht, natürlich auf die gleiche, völlig abgedrehte Weise, wie der gesamte Roman gestaltet ist. So ist er z.B. beleidigt, bei schlechtem Wetter woanders parken zu müssen, nur weil die Polizei wegen einem Mord die Krankenhauszufahrt blockiert. Zu köstlich sind auch seine sehr eigenartigen Moralvorstellungen, z.B. klaut er nach einem Mord Valium für ein anderes Opfer, verschließt dann aber sorgfältig das Schwesternzimmer, damit Langfinger unter den Patienten nichts aus dem Giftschrank stehlen können. So kann man einfach nicht anders und entwickelt auf eine schräge, skurrile Weise Sympathie für den Protagonisten, während man vom Autor so geschickt gesteuert wird, dass einem die Nebenfiguren und ihr Leiden nicht allzu sehr zu Herzen gehen.
Eine Ausnahme hiervon bildet mit Sicherheit die Ärztin Diane, die eine offene Art hat. Die Arroganz ihrer Kollegen geht ihr völlig ab, so dass sie sich unbeeindruckt von Edgars sozialem Status in ihn verliebt. Richtig sympathisch wird sie dem Leser bei dem gemeinsamen Date mit Eddie, bei dem sie vor Freude im Regen tanzt, hüpft und springt und ihre Lebenslust offen zeigt.
Eine nicht unerhebliche Rolle spielt in diesem Roman auch die alte und an den Rollstuhl gefesselte Mutter von Eddie. Vordergründig scheint sie senil und dement zu sein, so hofft sie z.B. die ganze Zeit auf die Rückkehr ihres Mannes, der schon längst tot ist. Tatsächlich verbirgt sich hinter ihrer Person aber ein tyrannischer und zänkischer Charakter, der nicht unerheblich an Edgars Geisteszustand schuld ist. Und hütet sie nicht doch sorgsam ein Geheimnis?


Aufmachung des Buches
Da mir das Rezensionsexemplar zu „VERNISSAGE – Die Kunststücke des Edgar Tess“ vom Verlag in Form eines eBooks zur Verfügung gestellt wurde, kann ich über die Aufmachung des Buches kaum eine Aussage machen. Die Kapitel sind von angenehmer Länge (im Schnitt 5 – 8 Seiten), was dem hohen Lesetempo noch zu Gute kommt.


Fazit
Dirk Radtke hat einen blutigen Thriller geschaffen, der aber auf eine völlig andere als der üblichen Art daher kommt. Mit rabenschwarzem und anzüglichem Humor liest sich dieser Roman überaus unterhaltsam, ist aber nichts für schwache Nerven. Eine Form dieses Genres, die einfach Spaß macht.


5 Sterne


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