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Schwächeanfall in der Questura. Brunetti landet im Ospedale Civile. Das Räderwerk des Alltags hat ihn zermürbt. Nachdem man ihn krankgeschrieben hat, will der Commissario in der Villa einer Verwandten von Paola zur Ruhe kommen. Wie wunderbar, einmal nicht Verbrechern hinterherzujagen, sondern in ländlicher Idylle seine Gedanken mit den Wolken ziehen zu lassen. Brunetti sollte sich in der Lagune erholen. Doch zwischen Bienen und Blumen kommt er einem größeren Fall als je zuvor auf die Spur.

 

Stille Wasser HB 

Originaltitel: Earthly Remains
Autor: Donna Leon
Übersetzer: Werner Schmitz
Sprecher: Joachim Schönfeld
Verlag: Diogenes Hörbuch
Erschienen: 05/2017
ISBN: 978-3-257-80380-8
Spieldauer: 577 Minuten, 8 CDs; ungekürzte Lesung


Die Grundidee der Handlung
Es ist heiß in Venedig, sehr heiß. Und da man sich aus Energiespargründen zwischen Klimaanlagen und Computern entscheiden muss, bleiben die Klimaanlagen aus. Kein Wunder also, dass Brunetti ins Schwitzen gerät. Noch dazu ist er gerade wieder einmal in einem dieser zermürbenden Verhöre: Der Sohn einer einflussreichen Familie, der als Anwalt arbeitet, war der letzte Partygast, der eine junge Frau lebend gesehen hat. Offenbar war ihr auf der Party Liquid Ecstasy ins Getränk gemischt worden. Heute morgen ist die Frau gestorben. Ermittlungen also, die unfassbar viel Fingerspitzengefühl erfordern. Noch dazu, wenn sich wichtige Zeugen (oder Verdächtige) als hochnäsig und blasiert erweisen. Fingerspitzengefühl, das Brunettis Kollegen Pucchetti mit zunehmender Dauer abhanden kommt. Er möchte dem Anwalt am liebsten so richtig die Leviten lesen. Als Brunetti die Situation erkennt, erleidet er einen Schwächeanfall. Brunetti landet im Krankenhaus. Die Untersuchung ergibt Hinweise auf Erschöpfung, sodass der Commissario zwei Wochen Ruhe verordnet bekommt. Gut, dass es in Paolas Familie jemanden gibt, der eine Villa im Naturschutzgebiet besitzt. Der Besitzer und Bewohner der Villa liebt Rudern und Bienen. Zwei Dinge, über die Brunetti während seiner "Auszeit" viel erfährt. Dass wichtigste davon ist wohl, dass seine Bienen aus unerklärlichen Gründen sterben. Dann, kurz nach Brunettis Ankunft, geschieht das Unvorstellbare: Der Freund der Familie und Brunettis Gastgeber rudert bei einem gewaltigen Unwetter hinaus. Wenig später wird seine Leiche gefunden. Ein tragischer Unfall? Brunetti will Gewissheit. Dottor Rizzardi entdeckt bei der Obduktion der Leiche zwar keine unmittelbaren Hinweise auf Fremdverschulden, dafür entdeckt er Jahrzehnte alte Verletzungen, die von Chemikalien stammen. Brunettis Neugier ist geweckt und gemeinsam mit Vianello, Elettra und Griffoni nimmt er die Fährte auf und kommt dem größten Fall seiner Karriere auf die Spur, einem Skandal, der das Leben dreier Menschen für immer verändert und Venedigs Natur in größte Gefahr bringt...

Dieser Brunetti folgt einem bewährten Muster und ist dennoch grundlegend anders. Brunetti ist müde vom immer gleichen Trott in der Questura und so steckt hinter der spontanen und impulsiven Aktion Brunettis zu Beginn des Buches mehr Wahrheit als ihm lieb ist. Dass er die Kur ohne seine geliebte Familie verbringen muss, macht die Sache nicht einfacher. Um sich davon abzulenken, steckt Brunetti reichlich alte Klassiker ins Gepäck. Als dann auch noch der Freund der Familie stirbt, gerät Brunetti tiefer in die Krise. Je tiefer er in der Vergangenheit gräbt, um so deutlicher zeichnet sich ein Bild ab. Ohne Beweise und konkrete Spuren schwer zu beweisen. Diesem Brunetti fehlt irgendwie der Biss. Der Commissario in Bestform hätte die Situation mit seiner Familie erörtert, und selbst, wenn sie Guido in der Ausweglosigkeit der Situation zugestimmt hätten, einen Weg gefunden, die Ereignisse ausführlich zu beleuchten. So ist die Grundidee zwar gewohnt klug und realitätsnah, aber dieser müde Brunetti ist ein Schatten seiner selbst. Hoffentlich erholt sich der Commissario vollständig und kehrt wieder zu dem Scharfsinn zurück, der ihn auszeichnet.


Darstellung des Hörbuchs
Zum sechsten Mal ist Joachim Schönfeld die Stimmme Brunettis. Er liest gewohnt souverän und unterscheidet stimmlich gekonnt alle handelnden Figuren. Große Stärken entwickelt er als Sprecher in der Darstellung des Anwalts am Anfang. Mit jeder Minute, die diese Szene dauert, fällt es selbst beim Zuhören schwer, gegenüber dieser Romanfigur die Ruhe zu bewahren, phantastisch gelesen! Ebenfalls große Stärken entwickelt die Lesung in den  vielen so wunderbar einfühlsamen Szenen. Hier einzelne herauszugreifen wäre ungerecht. Man spürt auch an der Lesung, dass es diesmal weniger um den Commissario, sondern mehr um den Menschen Brunetti geht. Dieser Mensch wirkt müde, ausgebrannt und auf eine beängstigend überzeugende Weise unvollständig ohne seine Familie. Auch diese von mir beschriebene "Unvollkommenheit" transportiert Herr Schönfeld überragend. Überhaupt wirkt dieses Hörbuch getragen, die Stimmung melancholisch und gedrückt, ohne dass Brunetti den klaren Blick für die Situation verliert. Neu ist hingegen sein "kampfloses sich damit abfinden". Was für ein Kontrast zu den Vorgängerbänden. Auch dort ging es um schwierige Themen, aber Brunettis Optimismus behielt stets die Oberhand. Auch diese Veränderung wird in der Lesung greifbar und sollte nicht mit dem (falschen) Eindruck verwechselt werden, Herr Schönfeld würde müde und lustlos lesen. Er fängt nur auch diesen Teil von Brunettis Persönlichkeit ein und transportiert ihn gekonnt. Eine tolle Lesung eines ungewöhnlichen Buches.


Aufmachung des Hörbuchs
Diesmal ist das Covermotiv der Blick aufs Wasser, das ruhig daliegt. Am Horizont erkennt man einen Gondoliere, ein kleiner Schwarm Vögel kreist über ihm. Der Himmel ist verhangen und trübe. Typisches Covermotiv in ungewöhnlicher Stimmung. Klappt man den Schuber auf, so liegt zuoberst ein Booklet. In ihm findet man zunächst Kurzbiografien von Autorin und Sprecher und alle erforderlichen bibliografischen Angaben. Auf der folgenden Seite findet man eines der für die Serie so typischen Opernzitate. Auf der nächsten Seite folgt, erstmalig in der Serie, eine Karte der Schauplätze und der Region Venedigs. Abschließend bekommt man - wie gewohnt - die Aufteilung der Buchkapitel auf die CDs und Brunettis bisherige Fälle. Die CDs sind in verlagstypischem Schwarzweiß und in Papphüllen verpackt, die jeweils das Cover-Motiv zeigen.


Fazit
Was für ein Kontrast! Der Commissario, der uns all die Jahre vermittelte, dass es selbst in den dunkelsten menschlichen Abgründen noch Licht und Hoffnung gab, am Ende seiner Kräfte. Und dann auch noch ohne Familie. Als Fan der Serie sicher ein Band um sich Sorgen zu machen. Auch und gerade wegen der Tatsache, dass es nicht einmal ein der Familie nahestehendes Todesopfer schafft, Brunettis unbändigen Gerechtigkeitssinn zu wecken. Gute Geschichte, die wichtige Themenfelder der modernen Gesellschaft berührt, in wohltuend und gewohnt leisen Tönen daher kommt,  die aber an einigen Stellen so resigniert und kraftlos bleibt wie Brunetti. Schade!


4 Sterne


Hinweise
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Backlist:
Teil 25: Ewige Jugend
Teil 24: Endlich mein
Teil 23: Tod zwischen den Zeilen
Teil 22: Das goldene Ei
Teil 21: Tierische Profite

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